Interview mit Expertin für Gewässerschutz Monika Raschke: "Eine einzigartige Mammutaufgabe"

BONN · Ein bisschen Wildnis am Rhein, das würde schon gehen. Aber von einer vollständigen Renaturierung der Auenlandschaft am Rhein, wie sie der BUND fordert, hält Monika Raschke nichts. Warum, das erklärt die Expertin für Gewässerschutz im NRW-Umweltministerium im Gespräch mit Neal Graham.

 Monika Raschke arbeitet im Umweltministerium.

Monika Raschke arbeitet im Umweltministerium.

Foto: Privat

Der BUND fordert insbesondere mehr Wildnis am Rhein, sprich: eine Renaturierung der Auenlandschaft. Wie schätzen Sie das ein?
Monika Raschke: Für den Rhein wird es keine Chance geben, die Auen komplett zu renaturieren. Dazu müssten Deiche abgebaut werden, und ohne Deiche müssten komplette Städte im Rheineinzugsgebiet umgesiedelt werden, da das Hochwasser ohne Deiche kilometerweit ins Hinterland gehen würde. Wir haben am Rhein also nur beschränkte Möglichkeiten. Aber wo renaturiert werden kann, sollte man das auf jeden Fall tun. Renaturierung ist vor allem bei den vielen Nebenflüssen und kleinen Gewässern möglich. Aufgrund der Ansprüche der Schifffahrt und fehlender Flächen für eine Renaturierung bietet der Rhein nur wenige Möglichkeiten für deutlich mehr Wildnis.

Welche wenigen Möglichkeiten böten sich denn?
Raschke: Der Niederrhein wäre ein Gewässer, das im natürlichen Zustand viele Inseln bilden würde. Den ursprünglichen, natürlichen Zustand können wir nicht wiederherstellen, das geht alleine der Schifffahrt wegen nicht, aber im kleinen Umfang wäre dort Wildnis möglich. Wir haben seit 2008 bereits eine erste Planung für den Rhein. Die sieht vor, dass man in Innenkurven, die nicht dem Strömungsangriff ausgesetzt sind, Nebenrinnen anlegt und somit Verzweigungen neben dem Hauptgerinne sowie einige kleine Inseln schafft. Das Deichvorland, das ist die Strecke zwischen dem Deichfuß und dem eigentlichen Gewässerbett, könnte tiefer gelegt werden, sodass es zwischen den Deichen häufiger zu Überflutungen kommt. Das würde dem natürlichen Zustand schon wesentlich näher kommen, ist aber nicht überall möglich.

Würde sich der Aufwand rechnen?
Raschke: Für die Artenvielfalt rechnet sich das immer, es gäbe aber noch mehr positive Effekte. Wenn der Rhein wieder mehr Platz bekommt, dient das zum einen dem Hochwasserschutz, zum anderen könnte so die Fließgeschwindigkeit des Gewässers reduziert werden, sodass der Fluss sich weniger stark in die Sohle eingräbt und weniger Material transportiert. Die Anlegung solcher Nebenrinnen hätte also eine Reihe von Effekten, die nicht alle rein ökologisch orientiert sind.

Der BUND beklagt, dass sich bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie kaum etwas getan hat...
Raschke: Das ist eindeutig falsch. Wir stellen jedes Jahr allein für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie 80 Millionen Euro zur Verfügung. Es wäre natürlich sehr zu begrüßen, wenn wir Projekte schneller voranbringen könnten, aber Planungen für solche Vorhaben sind sehr komplex und nehmen sehr viel Zeit in Anspruch. Etwas so Wichtiges darf und kann nicht einfach übers Knie gebrochen und halbherzig geplant werden. Man muss schließlich auch Genehmigungsverfahren durchlaufen, und es kann sich über Jahre hinziehen, bis solch eine Genehmigung erteilt wird, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt. Wir benötigen für die Renaturierung zudem Fläche. Es überrascht kaum, dass die Verhandlungen mit der Landwirtschaft, der ohnehin bereits an allen Ecken und Enden Ackerflächen verloren gehen, langwierig sind. Deshalb nimmt die Umsetzung vieler Maßnahmen auch viel Zeit in Anspruch.

Schätzungen des BUND zufolge ist der gute ökologische Zustand aller Gewässer bis 2027 bei der derzeitigen Umsetzungsgeschwindigkeit nicht zu erreichen.
Raschke: Wenn man das ganze Land betrachtet, bleibt es in der Tat ambitioniert. Es gibt in NRW 14 500 Kilometer Gewässer, die es in einen guten Zustand zu versetzen gilt. Einige davon sind schon in einem guten Zustand, viele aber noch nicht. Wir haben viel vor der Brust. Wir stehen da vor einer Mammutaufgabe, die in Europa einzigartig ist.

Wie steht es um den momentanen ökologischen Zustand des Rheins?
Raschke: Der Rhein ist stark durch die Ansprüche von Schifffahrt und Hochwasserschutz belastet. Fische haben wir zum Glück in üppiger Vielfalt. Das Problem sind Kleintiere und Pflanzen, denn im Rhein lebt derzeit nicht all das, was in einem solchen Strom eigentlich leben sollte. Das liegt insbesondere am Ausbauzustand des Rheins und am von der Schifffahrt verursachten Wellenschlag, hat aber nichts mit der Wasserqualität zu tun. Diese ist gut.

Weshalb ist eine naturnahe, nachhaltige Wasserpolitik insgesamt von Bedeutung?
Raschke: Wasser ist Grundlage unseres Lebens. Wir müssen uns in den nächsten Jahren auf den Klimawandel einstellen, der extreme Wetterverhältnisse nach sich ziehen wird. Das stellt uns vor Herausforderungen, die wir mit naturnahen Gewässern besser in den Griff kriegen können. Die Wasserrahmenrichtlinie verfolgt nicht nur einen ökologischen Aspekt, sondern auch einen qualitativen, das heißt: Es ist ein Ziel, sauberes Wasser zu erreichen und zu erhalten. Wasserpolitik umfasst nicht nur Renaturierung und Hochwasserschutz, sondern etwa auch die Qualität des Trinkwassers. Die Wasserrahmenrichtlinie ist daher ein Vorhaben zum Erhalt der wichtigsten Lebensgrundlage und Lebensräume für ganz NRW.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort