Gewässerschutz EU läutet Ende der schnurgeraden Flussläufe ein

BONN · Eine euopäische Wasserrahmenrichtlinie fordert seit dem Jahr 2000 eine Renaturierung der Auenlandschaften an den Flüssen Europas bis 2027, um den Hochwasserschutz in Zeiten des Klimawandels zu verbessern. Der Bund für Natur und Umweltschutz kritisiert indes eine zu langsame Umsetzung.

 Flussdelta Verdronken Land van Saeftinghe aus der Luft.

Flussdelta Verdronken Land van Saeftinghe aus der Luft.

Foto: blickwinkel

Der Rhein fließt von seinem Quellgebiet in der Schweiz hinauf bis zur Nordsee-Mündung in den Niederlanden insgesamt über 1233 Kilometer und quert damit über Bundesländer- und Staatsgrenzen hinweg. Schutz und Pflege eines der längsten Flüsse Europas sind daher länderübergreifende Aufgaben, unter anderem beschrieben in der europäischen Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000.

Theoretisch ist eine nachhaltigere und umweltverträglichere Wasserpolitik also längst beschlossene Sache - in der Praxis sieht es jedoch anders aus. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert, diese übergreifende Aufgabe sei konsequent vernachlässigt worden. Ausgeprägte Wildnisgebiete, in denen sich die Natur ohne menschliche Eingriffe frei entfalten kann, seien nach wie vor eine Seltenheit - nicht nur am Rhein, sondern deutschlandweit.

"Mehr Wildnis geht immer"

Das werde zusehends zum Problem, warnt der Naturschutzbund, der vor Kurzem bei den "Naturschutztagen am Rhein" die zuständigen Landesverbände zu einer gemeinsamen Tagung an einen Tisch holte. Der Rhein habe zu wenig Platz: Jedes Extremhochwasser mache deutlich, dass der Fluss den ihm von Natur her zustehenden Raum dringend brauche. "Mehr Wildnis geht immer" - dieser Devise entsprechend fordern die Naturschützer daher die Revitalisierung zahlreicher Auengebiete.

Dieses Vorhaben läuft jedoch nicht wie erhofft: Unisono monieren die BUND-Landesvorsitzenden am Rhein - neben NRW noch Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden Württemberg -, dass notwendige Gesetze und Regelungen wie die europäische Wasserrahmenrichtlinie zwar auf dem Papier existieren, es aber in der Praxis an politischem Umsetzungswillen mangele.

Die Verantwortlichen legten eine frustrierende Handlungsunwilligkeit an den Tag, den nötigen Kurswechsel einzuleiten, kritisiert BUND-Vorsitzender Hubert Weiger, und fordert eine grundlegende Änderung der politischen Herangehensweise. Ansonsten könne das vorgeschriebene Ziel - der "gute ökologische Zustand aller Gewässer" bis spätestens zum Jahr 2027 - nicht erreicht werden.

Mehr Natur und Platz am Rhein müsse als Chance begriffen werden - als Chance nicht nur für alle Anrainer, sondern für die Gesellschaft und vor allem als Chance für einen bessren Hochwasserschutz. Denn Auen sind nicht nur vielfältige Biotope, sondern dienen auch als Überschwemmungsflächen.

Durch die Rheinbegradigung, die zwischen 1817 und 1876 vom Ingenieur Johann Gottfried Tulla und seinen Nachfolgern vorgenommen wurde und den damals mäandrierenden Fluss stark verkürzte, habe sich die Hochwassergefahr deutlich verschärft, warnt der BUND. An vielen Stromkilometern des Rheins seien über 90 Prozent der ehemaligen Überschwemmungsgebiete für das Rheinhochwasser nicht mehr erreichbar.

Vor der Begradigung habe sich die Hochwasserwelle vergleichsweise träge nach Norden wälzen können, da sie in den teils kilometerbreiten Auen abgebremst wurde. Durch die Laufbeschleunigung in Folge der Vernichtung der Auen sei jedoch das Risiko, dass die Hochwasserwelle des Rheins zeitgleich mit den Hochwasserwellen von Neckar, Main und Mosel zusammentreffe, rasant gestiegen - weniger Auen bedeuten folglich mehr Hochwasser, so die Naturschützer.

Die BUND-Landesverbände sind sich einig: Aus Hochwasser muss wieder Breitenwasser werden, und das geht nur, indem die Auenlandschaft renaturiert wird. "Der ökologische Hochwasserschutz muss Vorrang genießen vor technischen Maßnahmen wie der ständigen Erhöhung der Deiche oder dem Bau technisch gesteuerter Poldern", so Holger Sticht, Vorsitzender des BUND-Landesverbandes NRW.

Gemeinsam mit dem Bundesamt für Naturschutz appellieren die Verbandsmitglieder deshalb: Der technische Hochwasserschutz müsse nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, reiche jedoch alleine nicht aus, um das Hochwasserrisiko in gefährdeten Gebieten zu senken. Mit Deicherhöhungen und dem Bau von Poldern gehe man lediglich auf das Symptom höherer Hochwasserspitzen ein, ohne die dahinterliegenden Ursachen zu behandeln.

Rückgewinnung von natürlichen Überschwemmungsflächen erforderlich

Um vorsorgenden und naturverträglichen Hochwasserschutz zu betreiben, seien in erster Linie die Rückgewinnung von natürlichen Überschwemmungsflächen und die damit einhergehende Renaturierung von Fließgewässern erforderlich. Die Rückverlegung von Deichen sei etwa eine gängige Maßnahme, solche Flächen zurückzugewinnen.

Bei einer solchen Rückverlegung wird ein dicht am Flussufer gelegener Deich abgetragen und durch einen neuen Deich, der weiter vom Ufer entfernt ist, ersetzt. Bei Hochwasser können sich die Wassermassen anschließend in dem neu geschaffenen Raum ausbreiten.

Wie wirksam solche Maßnahmen sein können, beweist die 2009 fertiggestellte Deichrückverlegung in der Lenzener Elbtalaue - dort konnte eine Absenkung des Hochwasserscheitels von knapp einem halben Meter erzielt werden, deren Wirkung noch 30 Kilometer stromaufwärts nachweisbar war.

Die Kosten für diese Maßnahme, die rund 566 Millionen Euro betrugen, blieben Berechnungen des Bundesamtes für Naturschutz zufolge weit hinter dem gesellschaftlichen Gesamtnutzen von 1,75 Milliarden Euro zurück. Bei großräumigen Deichrückverlegungen könne der Wert der Hochwasserschutzwirkung auch am Rhein viele hundert Millionen Euro betragen.

Durch den Klimawandel werden, so der UN-Klimabeirat IPCC (Intergovernmental on Clima Change), zudem Extremwetterlagen mit Starkregen und Hochwasserereignisse europaweit weiter zunehmen und damit der Handlungsbedarf, am Zustand der Flüsse grundsätzlich etwas zu ändern. Insofern lässt sich die EU-Wasserrahmenrichtlinie auch als ein Instrument zur Klimaanpassung betrachten.

Widerstand von Landwirten und Bürgern

Dennoch kommt die Renaturierung der Auenlandschaft entlang des Rheins nicht voran. Der BUND beklagt den Widerstand von Landwirten und Bürgern, der jüngst etwa die Umsetzung der EU-Vorgaben beim Renaturierungsprojekt für das Siegufer (siehe Artikel unten) erschwert habe.

BUND-Vorsitzender Hubert Weiger zeigt sich grundsätzlich verständnisvoll: "Wenn etwas derart Neues und Einschneidendes kommt, ist das für die Anwohner vor Ort immer schwierig." Es liege in der Verantwortung des Naturschutzbundes, den renaturierten Fluss nicht bloß als abstraktes Konzept zu beschreiben, sondern diese Vision anhand von Praxisbeispielen bildlich sichtbar zu machen.

"Grundsätzlich ist die Akzeptanz für die Renaturierung aber vorhanden", so Weiger. Eine Umfrage habe ergeben, dass 93 Prozent der Befragten naturnahe, renaturierte Gewässer bevorzugen - lediglich bei der konkreten Umsetzung vor Ort kämen vereinzelt Bedenken auf. Bedenken, die es aus der Welt zu schaffen gelte. Denn eine naturnahe Wasserpolitik liege nicht nur im Interesse des BUND, sondern sei von zentraler Bedeutung für die gesamte Gesellschaft.

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