Digitalisierung Wer führt wen in die digitale Zukunft?

Haben die Jüngeren die Nase vorn, wenn es um die digitale Zukunft geht? Zusammen mit dem Bundesfamilienministerium holt die Deutsche Telekom Menschen verschiedener Generationen an einen Tisch, um mit ihnen in die digitale Zukunft zu blicken.

Calliope heißt die sternförmige Scheibe, die Maxim Loick in die Höhe hält. Bei der Einweihung des Digital Hub, einer IT-Ideenschmiede auf dem Gelände der früheren Zementfabrik am Beueler Rheinufer, präsentiert er sein Startup und dessen Produkt. Was so groß ist, wie die Handfläche eines Erwachsenen, soll Grundschulkinder spielerisch in die Lage versetzen, programmieren zu lernen.

Benannt nach der Tochter des Zeus, der Muse der Wissenschaft, enthält die Platine Calliope Leuchtdioden und Knöpfe, Kompass, Bewegungs- und Beschleunigungssensor und lässt sich im Handumdrehen an jeden Computer anschließen. Revolutioniert sie bald den Schulunterricht, wie es nicht nur die Erfinder des Minicomputers glauben, sondern auch die Wochenzeitung "Die Zeit" für durchaus möglich hält? Schon möglich. Jedenfalls geht mit dem Saarland ein erstes Bundesland an den Start und will Calliope künftig jedem Drittklässler in die Hand drücken. Computer verstehen, nicht nur bedienen können, lautet die Devise, die manchen aus der älteren Generationen eine Gänsehaut bereitet. Ganz gleich, ob es sich um Lehrer, Eltern oder Großeltern handelt.

Tanzen die lieben Kleinen, deren Handy- und Laptop-Konsum ohnehin oft nur mit Mühe im Zaum zu halten ist, ihren Altvorderen bald digital endgültig auf der Nase herum? Und was haben die vorangegangenen Generationen in die Waagschale zu werfen, wenn es darum geht, die digitale Zukunft zu gestalten? Spielt diese Frage nur in den Klassenzimmern eine Rolle oder geht es nicht genauso um das Miteinander am Arbeitsplatz, im Verkehr, in der Freizeit oder - größer gedacht - in der Gesellschaft?

Fragen gibt es unzählige, was die digitale Zukunft angeht. Aber es mangelt an Antworten. Und zwar keineswegs nur an technischen, sondern durchaus auch an lebenspraktischen, ethischen, juristischen oder volkswirtschaftlichen. Und wer soll sie geben? Politik, Wirtschaft oder andere gesellschaftliche Gruppen? Schließlich geht es um maximale Veränderungen, die immer wieder mit den Auswirkungen der Industriellen Revolution verglichen werden. Es geht um die Zukunft. Nicht mehr und nicht weniger.

Robotersteuer?

Kein Wunder, dass sich da auch die Chefs von Großkonzernen zu Wort melden und einen Vorgeschmack darauf geben, wie groß der Umbaubedarf für die digitale Gesellschaft allein auf volkswirtschaftlicher Seite zu werden verspricht. "Man könnte zum Beispiel bei Arbeit, die von Menschen geleistet wurde, auf die Mehrwertsteuer verzichten - und nur die Arbeit von Robotern besteuern", zieht Post-Chef Frank Appel in der "Welt am Sonntag" eine Robotersteuer in Erwägung. Und befindet sich mit seinem Vorstoß in bester Gesellschaft, denn auch der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments überlegt, die Wertschöpfung künstlicher Intelligenz zu besteuern. Das erwirtschaftete Geld soll den sozialen Sicherungssystemen zugute kommen, um auszugleichen, dass Kollege Roboter Arbeitsplätze kostet.

Telekom-Chef Timotheus Höttges denkt über "unkonventionelle Lösungen" zum Erhalt der Sozialsysteme nach. "Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen", sagte Höttges im Interview mit der Zeit. Finanzieren ließe sich das Grundeinkommen durch Steuern auf Gewinne großer Internetkonzerne. "Wenn Produktivität zukünftig vor allem an Maschinen und die Auswertung von Daten gekoppelt ist, könnte die Besteuerung stärker auf den darauf beruhenden Gewinnen aufbauen und weniger auf der Einkommensteuer des Einzelnen."

Ein dickes Brett, denn ein gesellschaftlicher Konsens über heiße Eisen wie das bedingungslose Grundeinkommen oder die Robotersteuer ist nicht in Sicht. Eigentlich hat die Diskussion noch nicht mal richtig begonnen. Zumindest nicht auf der ganz großen Bühne. Dafür aber in vielen Nischen. Und oft unter Beteiligung derer, die selbst bereits tief in den Digitalisierungsprozess eingetaucht sind. Nicht umsonst startete Google mit Kooperationspartnern die "Zukunftswerkstatt für Deutschland", die sich hauptsächlich dem digitalen Lernen verschrieben hat.

Digitale Verantwortung

Die Telekom widmet sich dagegen in ihrer Kampagne "Digitale Verantwortung" der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Oder, wie Telekom-Chef Höttges sagt: "Wie digitale Verantwortung konkret aussehen kann, gilt es zu diskutieren, die kann nicht einer verordnen - nicht ein Unternehmen, nicht eine Institution, nicht eine Regierung. Digitale Verantwortung können wir nur gemeinsam erarbeiten."

Eine Sisyphusarbeit, die der Telekommunikationskonzern zusammen mit dem Bundesfamilienministerium zu schultern versucht. Und um den Felsblock, der jedes Mal kurz vor dem Ziel zurück ins Tal rollt, vielleicht doch mal irgendwann auf den Gipfel zu bugsieren, haben die Partner bereits zum zweiten Mal Expertenrunden in der Berliner Hauptstadtrepräsentanz der Telekom zusammengetrommelt. "Diversity 4.0 Digitale Verantwortung - wer übernimmt sie?" lautete der Titel im Juni 2016, als erstmals Manager und Gewerkschafter, Personalchefs und Juristen, Politiker und Nichtregierungsorganisationen auf Einladung von Telekom-Aufsichtsrätin Stefanie Kreusel und Staatssekretär Ralf Kleindiek zusammenkamen. Inzwischen tagte eine zweite Expertenrunde, die noch bunter ist, was die gesellschaftlichen Gruppen angeht.

Noch gravierender sind aber die Unterschiede, was die vertretenen Altersgruppen angeht. Eben die richtige Mischung wenn es um "Digitale Verantwortung und Generationen" geht. "Wer führt wen in die Zukunft?" lautete diesmal die Kernfrage. Und die ist durchaus doppeldeutig zu verstehen. Da geht es einerseits um Jung und Alt, aber auch um Führung in Unternehmen.

Zwei Felder, auf denen der 18-jährige Daniel Michailidis und sein 20-jähriger Kumpel Torben Weiß sich gleichermaßen zu Hause fühlen. Parallel zum Abitur haben die beiden das Tech-Startup VMPROVE gegründet. Inzwischen studieren die beiden parallel dazu International Business und Betriebswirtschaft. Was die digitale Welt angeht, sind die beiden Youngster alte Hasen, verkaufen ihre Produkte im App Store. Dennoch halten sie sich in der Expertenrunde zurück, bis das Eis taut. Und für Weiß steht ohnehin von vorneherein fest: "Die Digitalisierung kennt kein Alter, sie kennt nur die Bereitschaft, Neues zu entdecken."

Wobei das Neue auch schon mal aus der Vergangenheit stammt, wie der Zahlenstrahl mit den Meilensteinen der vernetzten Welt beweist, den die Organisatoren als riesiges Poster aufgezogen haben. Da stellt sich heraus, dass für die Jüngeren wieder in der Bedeutungslosigkeit versunkene frühe Errungenschaften wie BlackBerry oder Palm die großen Unbekannten sind. Manche der Älteren in der Runde kennen dagegen das Freunde-Netzwerk Snapchat oder die Dating-App Tinder allenfalls vom Hörensagen. Ausgerechnet Facebook fehlt unter den Firmennamen. Dabei zählt das 2004 von Mark Zuckerberg gegründete Netzwerk knapp zwei Milliarden Mitglieder. Einer greift zum Stift und ergänzt kurzerhand das Logo. Alle lachen.

Mit Hilfe von Klebezetteln kann jeder seine ganz persönlichen Meilensteine der Digitalisierung ergänzen. "Examensarbeit auf dem C 64 geschrieben" markiert gewissermaßen die digitale Steinzeit in den 1980er Jahren, nahezu gleichauf mit der ersten Digitalkamera zum D-Mark-Preis und dem ersten Firmen-Handy. Kaum mehr als 30 Jahre später kauft einer seine erste Apple-Watch in Peking, bekommt die kleine Tochter ihr erstes eigenes Smartphone vom Weihnachtsmann, und die Hormone schlagen beim ersten Tinder-Date Purzelbäume. Im digitalen Wandel rast die Zeit schneller und schneller.

Auch für junge Leute, glaubt Steffi Burkhard, Autorin und Trainerin der Generation Y, wie die zwischen 1980 und dem Jahrtausendwechsel Geborenen gerne genannt werden. Sie gelten als gut ausgebildet, technikbegeistert, zugleich auf eine ausgeglichene Balance zwischen Beruf und Freizeit erpicht. Die erste Kohorte der Digital Natives. Aber auch Ureinwohner kennen Zweifel und fühlen sich nicht auf allen Pfaden sicher, wie Burkhard durchblicken lässt: "Wir brauchen Digitalkunde für jede Generation. Weil auch viele junge Leute keine Ahnung von den Spielregeln der Digitalwelt haben." Aber wie sehen diese Regeln aus?

Zukunft gemeinsam gestalten

"Programmiere oder werde programmiert", überschrieb der US-Medienwissenschaftler Douglas Rushkoff seine zehn Gebote des digitalen Zeitalters und mahnte zum überlegten Umgang mit digitalen Möglichkeiten. Gleich vorneweg: "Du sollst nicht immer online sein." Statt unser Leben zu leben, seien wir Sklaven von E-Mail, Twitter und Facebook geworden, urteilt der Protagonist der Cyberpunk-Szene der frühen 1990er in seinem 2013 erschienenen Buch "Present Shock. Wenn alles jetzt passiert". Um so wichtiger sei es, sich zu sagen "Meine Zeit gehört mir", findet Rushkoff, der die UNO in Fragen der Netzkultur berät. Eine Entwicklung vom Saulus zum Paulus oder umgekehrt? Ansichtssache.

Für das sogenannte Damaskuserlebnis aus der Apostelgeschichte des Lukas, in dem Paulus vom erbitterten Verfolger der Urchristen zum Apostel geläutert wird, ist Renate Fallbrüg Expertin. Auf unsichererem Terrain wähnt sich die Pastorin dagegen, wenn es um die Umbrüche durch die Digitalisierung geht, die nach ihrer Ansicht bisherige politische und gesellschaftliche Übereinkünfte wie den Generationenvertrag in Frage stellen und neue Denkansätze erfordern. "Das Ziel muss sein, eine gute Zukunft für so viele Menschen wie möglich in einem demokratischen Gemeinwesen zu gewährleisten", glaubt die Theologin.

Anerkennendes Nicken in der Beobachterrunde. Fishbowl heißt das Moderationsformat, das verhindern soll, dass bei der Diskussion die Wogen zu hoch schlagen. Reden dürfen die Teilnehmer im Goldfischglas, dem Innenkreis. Wer dahinter sitzt, ist als Beobachter zum Schweigen verdammt - und zum Zuhören. Es sei denn, er wechselt auf den begehrten freien Stuhl. Dafür muss dann ein anderer weichen. So kommt jeder zur Wort. Und die zu Beginn blütenweiße Papierdecke füllt sich mit Notizen. "Was genau ist digitale Kompetenz?" steht da. Genauso wie: Qualität von Informationen, Gestaltungswille, Mut.

"Die digitale Verantwortung braucht dringend einen Masterplan, der sich mit entsprechenden Regeln und einem neutralen Ethikrat unserer Zukunft widmet", findet Unternehmer Jörn Fechner. An seinem Engagement, dafür die Ärmel hochzukrempeln, lässt er keinen Zweifel. Denn für ihn steht fest, dass "nicht die Technologie die Zukunft bestimmt", sondern der Mensch gestalten muss.

Generationen müssen voneinander lernen

Einen Herausforderung, die Simone Weyand Tag für Tag annimmt. Als Grundschullehrerin in Berlin unterrichtet sie und entwickelt mit ihren Kollegen quasi nebenher ein neues Curriculum. "Da spielen übrigens Medien eine riesige Rolle. Jede Schule muss sich jetzt damit verstärkt auseinander setzen." Schon dafür seien die Diskussionen aus dem Expertenkreis Gold wert, findet Weyand. Die Runde habe sie gelehrt, dass "wir nur gemeinsam eine verantwortungsvolle digitale Welt gestalten können". Stephan Grabmeier kommt aus dem Personalwesen und arbeitet mit Managern statt mit Schulkindern. Den Lernbedarf sieht er bei seiner Klientel: "Wir haben in vielen Kinderzimmern mehr digitale Kompetenz als in Vorstandsetagen oder Aufsichtsräten." Da sei Veränderung dringend notwendig.

Klingt nach einem Unentschieden im digitalen Wettlauf der Generationen. Was Co-Gastgeberin Elke Frank von der Telekom bestätigt. Ihr Fazit: "Wir müssen uns die Zeit nehmen und den Mut aufbringen, voneinander zu lernen - über Generationen hinweg. Digital Natives und Erfahrung ergänzen sich prima." Oder, wie es Jungunternehmer Daniel Michailidis knapp zusammenfasst: "In der Jugend steckt die Hoffnung, im Alter die Erfahrung."

Womit, das will keiner verhehlen, die großen Probleme der Digitalisierung natürlich nach wie vor ungelöst sind. Nicht nur deshalb tagt der Expertenkreis weiter. Das nächste Mal am 4. April.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort