Kommentar zu Manipulationen im Netz Gefahr und Chance

Meinung | Bonn · Social Bots manipulieren im Netz die öffentliche Wahrnehmung und beeinflussen Wahlen. Eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft muss sich gegen solche Angriffe wehren, findet GA-Redakteur Andreas Dyck.

Das Internet ist zu einem Raum für Angst, Hass und Wut geworden. Dieser Eindruck drängt sich inzwischen auf. Wenn das schnellste aller Medien, dessen Aufstieg Mitte der Neunziger nur wenige vorhersahen, heute Schlagzeilen macht, dann meist schlechte.

Die Liste ist lang: Russische Hacker, die den Bundestag angreifen, geknackte E-Mail-Konten, staatliche Überwachung, Cyberkriminalität, Hasskommentare und die Manipulation von Wahlen durch Hacker und Computerprogramme. Fast scheint das weltumspannende Netz als Quell allen Übels, als Büchse der Pandora, die ihre Plagen über eine ohnehin rastlose Welt ergießt.

Tatsächlich sind die Angriffe auf Wählermeinungen, demokratische Prozesse und Nutzerdaten brandgefährlich. Algorithmen sollen Einfluss auf die US-Wahl und das Brexit-Votum genommen haben. Computerprogramme wie Social Bots machen im Internet Stimmung für Populisten. Sie verbreiten Falschmeldungen, hetzen gegen Flüchtlinge und andere Minderheiten und werben für Fundamentalisten jeder Couleur. Das alles wirkt sich auf die reale Welt aus. Populistische Parteien gewinnen an Zulauf, Menschen tragen ihren Hass auf die Straße, Unterkünfte für Flüchtlinge werden angezündet, junge Menschen radikalisieren sich im Internet.

Eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft muss sich gegen solche Angriffe wehren. Politik muss die Anbieter sozialer Netzwerke verpflichten, gegen Hass, Hetze und Falschmeldungen stärker vorzugehen. Soziale Medien müssen ihrer Verantwortung besser nachkommen. Es dauert zu lange, bis Facebook & Co. menschenverachtende Kommentare und gefälschte Internetprofile löschen - wenn es denn überhaupt passiert. Traditionsmedien müssen sich wehren gegen Vorwürfe, falsch und einseitig zu berichten, indem sie ihre Arbeit transparenter machen und gezielt über die Meinungsmache im Netz aufklären.

Doch wer die Schuld für die Gefahren allein im Medium sucht, macht es sich zu einfach. Propaganda ist kein neues Instrument, hinter den manipulativen Algorithmen stecken Menschen. Es gilt, ihre Motive und ihr Wirken ans Licht zu bringen. Die Ängste der meisten Menschen sind zudem echt und finden einen Echoraum in den Kommentarspalten sozialer Medien. Sie fürchten sich etwa vor Überfremdung oder sozialem Abstieg. Politik muss darauf Antworten finden.

Nicht zuletzt gilt es, das Netz auch als Chance zu begreifen. Anfang der Neunziger war es mit dem Versprechen angetreten, die Welt transparenter und demokratischer zu machen. Die Netzgemeinde, wie seine Jünger sich nannten, war beseelt vom gesellschaftlichen Nutzen, den der Cyberraum versprach. Das Wissen der Menschheit sollte für jeden frei zugänglich sein. Die Welt sollte frei von Hierarchien, staatlicher Kontrolle und Überwachung sein.

Die basisdemokratische Struktur des Netzes, die jeden seiner Nutzer gleichwertig und gleichberechtigt miteinander verbindet - ohne Ansehen von Hautfarbe, Religion und Geschlecht - sollte gar die Tyrannen vertreiben. "Wo wir uns versammeln, besitzt ihr keine Macht mehr", rief 1996 der Internetaktivist John Perry Barlow in seiner "Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace" den Vertretern der alten Zeit zu. Seither war das Verhältnis zwischen der Internetgemeinde und der Politik stets schwierig. Netzjünger verstehen zu wenig von Politik und Politiker zu wenig vom Internet. Es ist an der Zeit, dass sich das ändert.

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