Trauerfeier für Germanwings-Opfer "Wo warst Du, Gott?"

Für Sabine Specht ist es Ehrensache, an diesem Freitag nach Köln gekommen zu sein. Schon um 8 Uhr steht die Frau aus Eitorf an den Absperrgittern vor dem Café Reichard und wartet auf den Einlass in den Dom, um an der Trauerfeier für die Opfer des Absturzes der Germanwings-Maschine teilzunehmen.

 Stilles Gedenken: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ein Notfallseelsorger halten sich an den Händen.

Stilles Gedenken: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ein Notfallseelsorger halten sich an den Händen.

Foto: dpa-Pool

Sabine Specht arbeitet am Köln/Bonner Flughafen und hat dort eine junge Stewardess kennengelernt, die am 24. März in den Alpen ums Leben kam. Sie erinnert sich gern an die Flugbegleiterin: "Sie war immer so nett und fröhlich." Viele Menschen sind so früh noch nicht da. Sabine Specht hat Glück und darf als eine von 100 nicht geladenen Besuchern in den Dom.

Rund 800 Plätze sind für Vertreter von Politik, Kirchen, Gesellschaft, Notfallseelsorger und Helfer reserviert, etwa 500 für Angehörige und Freunde der Opfer. Damit diese nicht behelligt werden, haben Polizei und Stadt Domplatte und Roncalliplatz abgesperrt - und vor dem Römisch-Germanischen Museum zwei Meter hoch schwarze Plastikbahnen angebracht. In Bussen werden die Angehörigen vor den Dom gebracht.

In den Kirchenbänken liegen kleine Holzengel, die später eine wichtige Rolle spielen. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki soll eigentlich nur die Liturgische Eröffnung sprechen, doch das ist ihm nicht genug. Er setzt noch eine Frage hinzu, die viele der Menschen bewegen dürfte: "Wo warst Du, Gott?" Annette Kurschus, die Präses der westfälischen Landeskirche, die mit Woelki den Gottesdienst leitet, fragt: "Hat Gott vergessen, gnädig zu sein?"

Horst Schmitz sieht Woelki und Kurschus wie Hunderte andere Menschen auf einer Großbildleinwand vor dem Hauptbahnhof. Immer wieder hält sich der 71-jährige Kölner die Hände vors Gesicht. Mehrmals wischt er sich Tränen aus den Augen. Kurz vor der Predigt verlässt er das "Public Viewing". Er sei sehr ergriffen, sagt er. Nun kann er nicht mehr. Den Rest wolle er sich zu Hause im Fernsehen ansehen.

Wie Horst Schmitz, so geht es vielen beim stillen Gedenken auf dem sonst so lauten Bahnhofsvorplatz. Da ist das Paar um die 60, das sich fest umarmt, da sind die sechs Frauen aus dem Schwäbischen, die mit dem Zug angekommen sind, ihre Trolleys abstellen und in Gedanken bei den Absturzopfern sind, und da sind die drei Freundinnen Anfang 20, die sich immer wieder an den Händen fassen und ihre verweinten Gesichter hinter großen Sonnenbrillen verbergen.

Wenige Meter weiter im Dom sagt Präses Kurschus in Anlehnung an einen Psalm: "Gott, sammle meine Tränen in deinen Krug." Die Tränen der Angehörigen sind nicht zu sehen, denn die Fernsehkameras zeigen keine Nahaufnahmen.

Angesichts des Unbegreiflichen zeigt sich Woelki ratlos: "Hier stehe ich nun also: als Mensch, als Christ, als - aber das ist hier nicht so wichtig - Erzbischof von Köln, und ich habe keine theoretische Antwort auf das schreckliche Unglück vom 24. März." Er könne nur auf die Antwort zeigen, an die er selbst glaube, die seine Hoffnung sei: "auf den mit-leidenden Gott am Kreuz und ich kann zeigen auf die Auferstehung, auf Ostern, auf das ewige Leben."

Wer nicht glauben könne, den wolle er einladen, sich tragen zu lassen von jenen, die für sie und für ihre Lieben beteten. Dann kommen die Engel ins Spiel. Ein Notfallseelsorger sagt: "Menschen brauchen Engel." Und eine Kollegin erzählt, dass sie von trauernden Menschen Geschichten über Engel gehört hat. "Einige sagen, dass die positive Kraft eines geliebten Menschen sie seither wie ein Engel begleitet."

Bundespräsident Joachim Gauck erhält einen Engel, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, der französische Verkehrsminister Alain Vidalies, der spanische Innenminister Jorge Fernandez Diaz und Germanwings-Chef Thomas Winkelmann. Und auch Sarah. Die junge Frau hat ihre Schwester verloren. Stellvertretend für alle Hinterbliebenen nimmt sie den Engel entgegen.

Sarah hat die Kraft, selbst eine Fürbitte vorzutragen: "Ich bitte für alle Angehörigen und Freunde der Passagiere und der Crew, die ihre Lieben schmerzhaft vermissen." Fast versagt ihr die Stimme. Aber sie steht nicht allein vorn. Dicht daneben steht eine andere Frau und streichelt ihr über den Rücken, während sie liest.

"Herr, ich bitte Dich", betet Sarah weiter. "Trockne unsere Tränen, stärke die schönen Erinnerungen und schenke uns allen neuen Lebensmut. Lieber Gott, gib unseren verunglückten Verwandten und Freunden ein neues Zuhause und pass immer auf sie auf." Bei den letzten Worten bricht ihre Stimme. Die Frauen umarmen sich. Der Moment, in dem der Schmerz mit Händen zu greifen ist.

Auf den Stufen zum Altar brennen 150 weiße Kerzen - 75 links und 75 rechts -, für jedes Absturzopfer eines. Auch für den Copiloten. Darüber gibt es kontroverse Diskussionen. "Wir wissen nicht, wie es im Kopf des Copiloten aussah", sagt Bundespräsident Joachim Gauck später, "wir wissen aber auch, dass seine Eltern einen Menschen verloren haben, den sie geliebt haben."

Als Sabine Specht nach der zweistündigen Feier aus dem Dom kommt, ist sie noch ganz ergriffen. Bedrückend und sehr traurig sei es gewesen, sagt sie. Und doch: Es sei für sie wichtig gewesen, im Dom dabei zu sein und dort zu trauern.

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