Wurde der vermeintliche Täter vom Opfer bedroht? Schwarzer soll vor tödlichem Schuss auf weißen Polizisten losgegangen sein

WASHINGTON · Ganz neuer Zungenschlag in der Tragödie um den weißen Polizisten Darren Wilson, der Anfang August in Ferguson im US-Bundesstaat Missouri den schwarzen Jugendlichen Michael Brown (18) erschossen hatte.

Der Fall führte zu schweren Unruhen, Rassismus-Debatten und bis heute anhaltenden Protesten. Mindestens acht afro-amerikanische Augenzeugen haben vor einer Jury, die über eine mögliche Anklageerhebung gegen Wilson befindet, Aussagen gemacht, die der bisher gehandelten Version vom unbewaffneten und sich mit erhobenen Händen ergebenden Schwarzen komplett widersprechen. Das berichten mehrere US-Zeitungen, darunter die "Washington Post".

Danach soll Brown den anfangs in seinem Dienstwagen sitzenden Polizisten mehrfach ins Gesicht geschlagen haben. Brown, ein über 1,90 Meter großer und 125 Kilogramm schwerer Mann, soll außerdem versucht haben, bei einem Handgemenge am Autofenster die Dienstpistole Wilsons unschädlich zu machen. Nachdem Brown weglief, getroffen von einem Schuss in den Arm, und der Polizist ihn stellen wollte, sei Brown wutentbrannt auf Wilson losgestürmt, so die Augenzeugen.

Bisher hatte sich in den meisten Medien eine Tatschilderung durchgesetzt, die Brown in Hände-hoch-Haltung vor dem Officer beschrieb, als ihn die tödlichen Schüsse trafen; unter anderem in den Kopf. Ein Autopsie-Report, den die Lokalzeitung St. Louis Dis-patch veröffentlichte, stützt aus Sicht mehrerer Forensik-Experten die Version Wilsons. Der Polizist hatte gegenüber der nicht öffentlich tagenden Jury ausgesagt, er habe um sein Leben gefürchtet und darum geschossen.

In Regierungskreisen in Washington, wo das Justizministerium eine unabhängige Untersuchung gegen Wilson führt, und bei den Anwälten der Familie Michael Browns stießen die auf Indiskretionen basierenden Medien-Berichte auf Kritik. Man befürchtet einen "bewussten Versuch der Beeinflussung der öffentlichen Meinung", hieß es in Regierungskreisen.

Zum einen gebe es genügend andere Zeugen, die Wilsons Verhalten bei der Konfrontation mit Brown detailliert als "völlig unverhältnismäßig" beschrieben haben. Zum anderen könne so zusätzliches Misstrauen bei den Demonstranten geschürt werden, die seit der Tat am 9. August in der Kleinstadt Ferguson nahe St. Louis regelmäßig auf die Straße gehen - gegen eine aus ihrer Sicht rassistisch motivierte Polizei, die bei Schwarzen tendenziell schneller zur Waffe greift. Dass es am Ende der Ermittlungen zu der von der afro-amerikanischen Community geforderten Anklage und damit zum Prozess gegen Officer Wilson kommt, erscheint aus Sicht von Rechtsexperten nach den jüngsten Veröffentlichungen zweifelhaft. Zu viel deute auf eine durch Brown zumindest mitverschuldete Notwehr-Situation hin, in der sich der Polizist befunden habe.

Chef-Ermittler Robert McCulloch hat angekündigt, die Jury weiter zeitnah mit allen Ermittlungsergebnissen zu versorgen. Mit einer Entscheidung der Anklagekammer wird Anfang 2015 gerechnet.

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