Moskau: Kampfjet-Abschuss war "geplante Provokation"

Moskau/Berlin/Istanbul · Trotz eindringlicher Aufrufe zur Deeskalation spitzt sich der Konflikt zwischen Moskau und Ankara wegen des Abschusses eines russischen Kampfjets zu. Russland wertete den Vorfall im türkisch-syrischen Grenzgebiet als "geplante Provokation".

 Die letzten Sekunden eines russischen Kampfflugzeugs: Zwischen Russland und der Türkei herrscht derzeit Eiszeit. Foto: Haberturk TV Channel

Die letzten Sekunden eines russischen Kampfflugzeugs: Zwischen Russland und der Türkei herrscht derzeit Eiszeit. Foto: Haberturk TV Channel

Foto: DPA

"Wir haben ernsthafte Zweifel daran, dass dies unbeabsichtigt war", sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. "Dies war ganz offensichtlich ein Hinterhalt: Sie warteten, beobachteten und haben einen Vorwand gesucht."

Der Zwischenfall bedroht die internationalen Bemühungen um ein gemeinsames Vorgehen gegen den Terrorismus im Syrien-Konflikt. "Durch den Abschuss hat sich die Lage noch einmal verschärft", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag. "Wir müssen jetzt alles tun, eine Eskalation zu vermeiden."

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow stellte einen gemeinsamen Anti-Terror-Kampf mit der Türkei in Zweifel. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte, Moskau werde alle militärischen Kontakte mit Ankara vorerst einfrieren.

Das Weiße Haus teilte mit, US-Präsident Barack Obama habe in einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan gesagt, die Türkei habe aus Sicht der USA und der Nato das Recht, ihre Souveränität zu verteidigen. Laut Erdogan stellte sich erst nach dem Abschuss heraus, dass es sich um ein russisches Flugzeug handelte. Erdogan sagte: "Wir denken definitiv nicht an so etwas wie eine Eskalation dieses Zwischenfalls." Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte: "Russland ist unser Freund, unser Nachbar."

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte: "Dies ist eine ernste Situation. Sie verlangt Ruhe und Diplomatie." Stoltenberg sagte der Wochenzeitung "Die Zeit" mit Blick auf den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS): "Unser gemeinsamer Feind sollte der Islamische Staat sein. Es ist wichtig, dass uns alle, einschließlich Russland, das übergreifende Ziel leitet, den IS zu besiegen." Unterstützung für den von Moskau protegierten syrischen Machthaber Baschar al-Assad "verlängert jedenfalls nur den Krieg".

Nach Nato-Erkenntnissen dürfte die Darstellung des Bündnispartners Türkei zutreffen, wonach der Bomber vom Typ Suchoi Su-24 nach einer Verletzung des türkischen Flugraums beschossen wurde. Moskau betonte, der Flieger habe für die Türkei keine Gefahr dargestellt und sei über syrischem Boden abgeschossen worden.

Kreml-Sprecher Peskow wertete den Abschuss als Verstoß gegen das Völkerrecht. Die "Bild"-Zeitung zitierte aus einer "Geheimanalyse" des Verteidigungsministeriums in Berlin, wonach der russische Jet nur 17 Sekunden im türkischen Luftraum war und über syrischem Territorium getroffen wurde.

Merkel appellierte an alle beteiligten Länder, an den Gesprächen über eine politische Lösung für das Bürgerkriegsland Syrien weiter konstruktiv mitzuwirken. Bei den bislang zwei Gesprächsrunden habe es "hoffnungsvolle Entwicklungen" gegeben, sagte die Kanzlerin. Sie hoffe, dass die Gespräche nun "nicht zu weit zurückgeworfen werden".

Lawrow sagte nach einem Telefonat mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu, die Atommacht Russland werde nicht mit dem Nato-Staat Türkei Krieg führen. Ohne Reaktion könne der Fall dennoch nicht bleiben. Nach Angaben des türkischen Außenministeriums vereinbarten die beiden Chefdiplomaten ein Treffen in den kommenden Tagen. Lawrow sagte, russische Staatsvertreter hätten derzeit keine Pläne, in die Türkei zu reisen oder türkische Gäste zu empfangen.

Für eine Normalisierung der schwer beschädigten Beziehungen zwischen Russland und der Türkei müsse die Regierung in Ankara anerkennen, dass der Vorfall absolut unzulässig gewesen sei, forderte Lawrow. Zwar habe Cavusoglu in dem Telefonat sein Beileid ausgedrückt, doch habe dieser ihm den Vorgang nicht erklären können. In der Mitteilung des Außenministeriums in Ankara war von Beileid nicht die Rede.

Erdogan kritisierte erneut die Luftangriffe der Russen in der von der turkmenischen Minderheit besiedelten syrischen Grenzregion, in der der abgeschossene Kampfjet operierte. "Es wird behauptet, sie würden dort gegen Daesch (die Terrormiliz IS) vorgehen." Dort sei der IS aber gar nicht vertreten. Die Türkei versteht sich als Schutzmacht der Turkmenen in Syrien. "Wir verteidigen nur unsere eigene Sicherheit und das Recht unserer Brüder", sagte Erdogan.

Der russische Präsident Wladimir Putin kritisierte die Türkei erneut scharf. Ankara verfolge eine Politik der Islamisierung des Landes, sagte Putin der Agentur Interfax zufolge. Die Unterstützung radikaler Strömungen schaffe eine sehr ungünstige Atmosphäre.

Putin bestätigte, dass einer der Piloten des abgeschossenen Jets gerettet worden und der zweite ums Leben gekommen sei. Der gerettete Pilot befinde sich auf der russischen Basis Hamaimim südlich von Latakia in Syrien, sagte Putin. Er kündigte zum Schutz der Basis die Verlegung des Flugabwehrraketensystems S-400 nach Hamaimim an.

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