Regierungskritische Berichterstattung Morddrohungen gegen "Spiegel"-Reporter nach Grubenunglück

Istanbul · Nach seiner regierungskritischen Berichterstattung über das Grubenunglück in Soma wird der Türkei-Korrespondent des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" mit dem Tod bedroht. "Die Hetzkampagne nimmt absolut an Aggressivität zu", sagte Hasnain Kazim der Nachrichtenagentur dpa.

Kazim hatte einen Bergmann in Soma in einer Überschrift bei "Spiegel Online" am vergangenen Mittwoch mit den Worten zitiert: "Scher Dich zum Teufel, Erdogan!" Regierungsanhänger und regierungsnahe Medien erweckten danach den Eindruck, "Der Spiegel" selber wünsche den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zum Teufel.

Auf Twitter begann unter dem Hashtag #ScherDichZumTeufelDerSpiegel eine Kampagne gegen das Magazin und Kazim. Er habe inzwischen rund 10 000 E-Mails, Tweets und Facebook-Nachrichten erhalten, sagte der Korrespondent. Darunter seien Drohungen wie "Wenn wir Dich auf der Straße sehen, schneiden wir Dir die Kehle durch". In anderen Nachrichten werde er als "jüdischer Feind" Erdogans beschimpft. Über soziale Medien werde dazu sein Foto verbreitet.

Kazim sagte, die Kampagne scheine organisiert zu sein. "Das sieht man auch daran, dass einige Twitter-Accounts nur mir folgen und sonst keine Kontakte haben." Kazim hatte zunächst mit einem auch ins Türkische übersetzten Bericht auf "Spiegel Online" auf die Kritik reagiert. Danach nahmen die Anfeindungen weiter zu.

Kazim reiste am Dienstagabend für einige Tage nach Deutschland. Er werde unter anderem über den Erdogan-Besuch an diesem Samstag in Köln berichten, sagte er. Nächste Woche wolle er wieder nach Istanbul zurückkehren.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) reagierte empört auf die Morddrohungen. "Es ist unerträglich, dass Parteigänger Erdogans mit Einschüchterungen versuchen, die Pressefreiheit abzuschaffen", kritisierte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken. Er erinnerte daran, dass in der Türkei mehr als 30 Journalisten wegen angeblicher terroristischer Umtriebe in Haft säßen.

Die regierungsnahe Zeitung "Yeni Safak" warf Kazim vor, Erdogan zu beleidigen. Die ebenfalls regierungsnahe Zeitung "Sabah" schrieb: "Deutsche Medien: Desinformationen über Soma".

Auch Erdogan äußerte sich am Dienstag kritisch über die Berichterstattung ausländischer Medien zum Grubenunglück. Diese hätten "falsche und manipulierte" Nachrichten verbreitet, sagte der Ministerpräsident Medienberichten zufolge bei einer Fraktionssitzung seiner Partei AKP in Ankara.

Beim schwersten Grubenunglück in der Geschichte der Türkei waren in der vergangenen Woche nach Angaben der Regierung 301 Menschen getötet worden. Danach kam es zu Protesten gegen die Regierung, die Kritiker für die Katastrophe mitverantwortlich machten.

Erdogan will am Samstag bei einer Großveranstaltung in der Kölner Lanxess-Arena sprechen. Die Bundesregierung hatte ihn am Montag zu Zurückhaltung bei dem Auftritt aufgerufen.

Der Erdogan-Berater Yusuf Yerkel, der einen Demonstranten in Soma getreten hatte und dabei gefilmt worden war, ist derweil für eine Woche krankgeschrieben. Yerkel habe sich das rechte Bein verletzt und sei untersucht worden, berichteten türkische Medien am Dienstag. Ein Arzt habe eine Schwellung und Abschürfungen festgestellt. Yerkels Angriff nach dem Grubenunglück hatte Kritik am Verhalten der Regierung verschärft. Yerkel entschuldigte sich später.

Die türkische Polizei nahm wegen des Unglücks weitere Mitglieder der Unternehmensführung der Betreibergesellschaft Soma Holding fest. Darunter seien der Vorstandsvorsitzende Can Gürkan, Sohn des Inhabers Alp Gürkan, und der Unternehmensleiter Ramazan Dogru, berichteten türkische Medien. Zuvor waren gegen fünf Mitarbeiter der Soma-Holding Haftbefehle erlassen worden, darunter war auch der Betriebsleiter der Grube, Akin Celik.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort