KZ-Aufseher gesteht Mitschuld an Massenmord in Auschwitz

Lüneburg · 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz hat der angeklagte SS-Aufseher Oskar Gröning vor Gericht seine moralische Mitschuld am Massenmord in dem Konzentrationslager eingeräumt. Vor dem Landgericht Lüneburg legte der 93-Jährige zu Prozessbeginn ein umfassendes Geständnis ab.

 Im Auschwitz-Prozess in Lüneburg hat der Angeklagte Oskar Gröning ein umfangreiches Geständnis abgelegt. Foto: Julian Stratenschulte

Im Auschwitz-Prozess in Lüneburg hat der Angeklagte Oskar Gröning ein umfangreiches Geständnis abgelegt. Foto: Julian Stratenschulte

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In einem der letzten großen Auschwitz-Prozesse muss er sich wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen verantworten. Mit einer für die anwesenden Auschwitz-Überlebenden erschütternden Offenheit schilderte er seine damalige Begeisterung für den Nationalsozialismus sowie die barbarischen Verbrechen in dem Lager.

"Für mich steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldig gemacht habe", sagte Gröning vor Gericht. "Über die Frage der strafrechtlichen Schuld müssen Sie entscheiden." Heute bereue er sein Handeln in Demut vor den Opfern.

In seiner insgesamt zweistündigen Aussage räumte Gröning alle Vorwürfe der Anklage ein. Gleich bei seiner Ankunft in Auschwitz habe er von der Vergasung der Juden erfahren. Demnach half er im KZ Auschwitz-Birkenau, Geld aus dem von den Häftlingen zurückgelassenen Gepäck wegzuschaffen, um es an die SS weiterzuleiten.

Die Anklage wirft ihm vor, so dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Töten der Nazis unterstützt zu haben. Der gelernte Bankangestellte, der sich freiwillig der Waffen-SS anschloss, wurde später auch "Buchhalter von Auschwitz" genannt. Sollte Gröning verurteilt und für haftfähig erklärt werden, erwartet ihn eine Strafe von mindestens drei Jahren.

Gröning steht erst jetzt vor Gericht, weil die Justiz bis 2011 darauf bestand, dass KZ-Aufsehern eine direkte Beteiligung an den Morden nachgewiesen werden muss. Frühere Ermittlungen gegen den SS-Mann waren daher 1985 eingestellt worden. Erst nachdem die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen ihre Beurteilung änderte, kamen die Ermittlungen gegen Gröning und einige andere KZ-Aufseher wieder in Gang.

Vom Einsatz der SS in den Konzentrationslagern habe er nichts gewusst, als er sich freiwillig für die SS gemeldet habe. "Ich wusste zwar, dass die SS eine zackige Truppe war, die vorne mitgemischt hat und ruhmbedeckt nach Hause kam." Erst bei der Ankunft in Auschwitz hätten Kameraden ihm erklärt, dass dort Juden "entsorgt" würden und er sei erschüttert gewesen. "Wir haben uns nicht vorstellen können, dass es so etwas überhaupt gibt."

Dennoch habe er die Vernichtungsmaschinerie zunächst durch die Nazi-Propaganda begründet gesehen, die die Juden zu einer Bedrohung des deutschen Volkes erklärt hatten. "Wenn die Juden unsere Feinde sind, ist es Teil des Krieges, dass sie erschossen werden", habe er sich damals gedacht. Dass er den todgeweihten Menschen damals massenhaft das Geld raubte, habe er damals nicht hinterfragt. "Die Juden hatten es abzugeben, sie brauchten es ja nicht mehr."

Zu einem Bruch mit der Nazi-Ideologie sei es gekommen, als er die Barbarei hautnah miterlebte, sagte der 93-Jährige. So wurde er auf der Suche nach entflohenen KZ-Insassen Zeuge einer Vergasung in einem dafür umgebauten Bauernhof und hörte die langsam verstummenden Schreie der Opfer. Nachdem er sah, wie ein SS-Mann ein zurückgelassenes Baby gegen einen Lastwagen schlug und tötete, habe er Vorgesetzte eingeschaltet und um seine Versetzung an die Front gebeten, schilderte Gröning.

Anwälte von Nebenklägern brachten auch eine Mittäterschaft Grönings an den Morden ins Gespräch. In einem früheren Prozess gegen Kameraden habe er als Zeuge ausgesagt, regelmäßig an der Rampe Dienst gehabt zu haben, wo die eintreffenden Juden zur Vergasung und Zwangsarbeit aufgeteilt wurden.

Die Auschwitz-Überlebende Eva Kor aus den USA sagte: "Er versucht, mit seiner Schuld umzugehen." Er hätte sich wie tausende andere verbergen können. "Wenige hatten den Mut, nach vorne zu treten."

Das Interesse ausländischer Medien ist groß. Dolmetscher übersetzen das Verfahren auf Englisch, Hebräisch und Ungarisch. Für den Prozess sind bis Ende Juli 27 Verhandlungstage angesetzt.

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