Großalarm in Sydney Horror in der Vorweihnachtszeit

Sydney · Bei einer Geiselnahme mit möglicherweise islamistischem Hintergrund in Sydney sind drei Menschen getötet und vier weitere verletzt worden. Unter den Toten sei auch der Geiselnehmer, ein 50-jähriger radikaler Iraner, teilte die australische Polizei mit.

 Einer Geisel gelingt die Flucht aus dem Lindt-Café. Schwer bewaffnete Polizisten hatten stundenlang ausgeharrt, bis schließlich der Befehl zur Stürmung gegeben wurde.

Einer Geisel gelingt die Flucht aus dem Lindt-Café. Schwer bewaffnete Polizisten hatten stundenlang ausgeharrt, bis schließlich der Befehl zur Stürmung gegeben wurde.

Foto: DPA

Nach Stunden in Todesangst steht der jungen Frau der Schock ins Gesicht geschrieben: Mit ausgestreckten Armen rennt sie bewaffneten Polizisten entgegen und bricht fast zusammen. Die Angestellte mit der braunen Schürze ist der Hölle des Lindt Chocolat Cafés in Sydney entkommen, in dem ein Bewaffneter Besucher und Angestellte seit Montagmorgen in Schach hält.

"Ich habe seine Augen gesehen, der war verrückt", sagte Craig Stoker dem "Daily Telegraph". Der Mann hatte sich am Morgen in dem Café im Herzen Sydneys gerade einen Kaffee geholt. Draußen sei er mit dem späteren Geiselnehmer zusammengestoßen, wie er berichtete. Der Mann sei mit einer Sporttasche unterwegs gewesen. "Soll ich dich auch erschießen?", habe der Mann ihn nach dem Anrempler angeherrscht. "Ich war ganz schön fertig", meinte Stoker.

Was die Geiseln in dem Café durchmachen, ist tagsüber durch eine Scheibe zu sehen: Abwechselnd müssen zwei Leute mit erhobenen Händen eine schwarze Fahne mit dem muslimischen Glaubensbekenntnis an die Scheibe pressen. Direkt darunter ist ein fröhliches "Merry Christmas" (Frohe Weihnachten) auf der Scheibe zu lesen. Eine Mitarbeiterin des Cafés, die nicht im Dienst war, erkennt eine ihrer Kolleginnen. "Ihr Gesicht ist wie eine Maske - sie ist sonst so fröhlich", sagte die Frau im Fernsehen entsetzt.

Geiseldrama in Sydney
24 Bilder

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Der Tag in Sydney fängt an wie jeder andere. Martin Place ist dekoriert mit Weihnachtsschmuck. Neun Tage noch bis zur Bescherung, viele Leute sind unterwegs, kaufen Geschenke. Die Sonne scheint vom makellos blauen Himmel, in Australien hat der Sommer begonnen. Wer nicht zur Arbeit muss, hat keine Eile. An der Theke des trendigen Cafés muss viel los gewesen sein. Wie Stoker besorgen sich viele Leute auf dem Weg ins Büro dort noch schnell einen Kaffee.

Die Redaktion des TV-Senders "Channel 7" liegt direkt gegenüber. Redakteure sehen um kurz vor zehn Leute vom Café fortrennen. Sie schalten die Kameras ein. An die Fenster gepresste Hände sind zu sehen. Der Geiselnehmer hat die Leute offenbar an die Scheiben beordert. Dann erscheint die Fahne. Die Polizei ist innerhalb von Minuten vor Ort.

Die Redaktion muss weichen, wegen der strategischen Lage richtet die Polizei dort einen Kommandoposten ein. Dann beginnt das lange Warten. Am Mittag rennen plötzlich in kurzer Zeit drei Geiseln aus dem Gebäude, am Nachmittag zwei weitere. Die Polizei schirmt die Leute ab. Keiner äußert sich zunächst.

Kontakt mit dem Geiselnehmer besteht aber. "Wir verhandeln mit ihm", sagt Vize-Polizeichefin Catherine Burn. Der Mann, der einen Turban trägt, will aber dem Vernehmen nach etwas anderes. Er soll ein Gespräch mit dem Premierminister verlangt haben, live im Fernsehen.

Die Polizei hat die Fußgängerzone am Martin Place abgeriegelt, aber hinter dem Klebeband harren den Tag über bis zu 200 Schaulustige aus. Viele machen Selfies, Fotos mit Handykameras. Die Polizei betont immer wieder, dass Sydney sich nicht im Ausnahmezustand befinde. Außerhalb der abgeriegelten Zone solle jeder ganz normal seinen Alltagsaktivitäten nachgehen.

Der Täter, der bald nach dem Überfall von der Polizei identifiziert wird, verschreckt Behörden und Bewohner der Metropole mit der Warnung, in der Umgebung des Ladens seien Bomben versteckt worden. Die Medien des Landes und Premierminister Tony Abbott weigern sich zunächst, die Forderungen des Mannes der Öffentlichkeit preiszugeben. Später sickern Details durch.

Nach Angaben der Polizei handelt es sich bei dem Geiselnehmer um einen 49 oder 50 Jahre alten selbst ernannten Prediger aus dem Iran. Der Mann genießt in Australien Asyl. Er sei wegen sexueller Übergriffe in mehr als 40 Fällen sowie im Zusammenhang mit dem Tod seiner Ex-Frau wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, berichten Medien übereinstimmend. "Eines ist damit klar: Dies ist ein Einzeltäter", sagt Anwalt Manny Conditsis, der den Mann im vergangenen Jahr verteidigte. Er sei gegen Kaution auf freiem Fuß gewesen. "Er hat wahrscheinlich das Gefühl, dass er nichts zu verlieren hat", sagt er.

Der Mann war im vergangenen Jahr zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden, nachdem er Hassbriefe an die Angehörigen gefallener australischer Soldaten geschrieben hatte.

Den Medien zufolge protestierte er häufiger öffentlich gegen seine Behandlung in Australien oder gegen die amerikanische Politik. Der Mann betrieb in Sydney als Heiler eine Art Praxis. Dort sollen die sexuellen Übergriffe stattgefunden haben.

Als die Polizei das Café nach 16 Stunden Nervenkrieg stürmt, kommt der Geiselnehmer ums Leben. Zwei weitere Personen werden getötet, vier weitere werden schwer verletzt.

Unterdessen zeigen sich viele Australier solidarisch mit Muslimen. Auf Twitter bieten Nutzer an, Fahrgäste in islamischen Gewändern zu begleiten, falls sie sich vor Übergriffen fürchteten. Das Angebot wurde bis gestern Abend 90 000 Mal geteilt.

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