Gauck fordert Lehren aus 1989 gegen Hass und Gewalt

Leipzig · 25 Jahre friedliche Revolution sind ein Grund zu feiern. Aber Bundespräsident Joachim Gauck sieht die demokratischen Werte bedroht und zeichnet ein eher düsteres Bild der internationalen Lage.

 Ex-US-Außenminister Kissinger, der emalige deutsche Außenminister Genscher, Bundespräsident Gauck und der frühere US-Außenminister Baker auf dem Augustusplatz in Leipzig. Foto: Hendrik Schmidt

Ex-US-Außenminister Kissinger, der emalige deutsche Außenminister Genscher, Bundespräsident Gauck und der frühere US-Außenminister Baker auf dem Augustusplatz in Leipzig. Foto: Hendrik Schmidt

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Gauck rief zu mehr demokratischem Engagement und zum Kampf gegen Hass und Intoleranz auf. Bei einem Festakt in Leipzig zur Erinnerung an die große Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 forderte der Bundespräsident erneut, Deutschland müsse Verantwortung auch im europäischen und globalen Rahmen übernehmen.

Vor 1700 Gästen im Leipziger Gewandhaus sagte Gauck: "Wir dürfen niemals vergessen, dass unsere Demokratie nicht nur bedroht ist von Extremisten, Fanatikern und Ideologen, sondern dass sie ausgehöhlt werden und ausdörren kann, wenn die Bürger sie nicht mit Leben erfüllen."

Als Lehre aus der Geschichte forderte Gauck mehr Einsatz für die demokratischen Werte. "Nur so finden Intoleranz, nationalistische Hybris, Hass und Gewalt keinen Nährboden."

Auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) vermisst 25 Jahre nach dem Mauerfall das Engagement der Menschen für Freiheit und Demokratie. 1989/90 sei die Demokratie eine Verheißung gewesen, sagte Tillich bei dem Festakt. Heute sähen viele nur die Mühen der Ebene. "Der Geist der Gemeinschaft, die sich für ein gemeinsames Ziel einsetzt, scheint sich verflüchtigt zu haben. Viele, zu viele gehen nicht einmal zur Wahl. Leider auch hier in Sachsen, im Mutterland der friedlichen Revolution", sagte Tillich.

Gauck würdigte das Engagement der vielen Bürger, das zum Sturz des DDR-Regimes geführt habe. Deshalb habe er auch die Präsidenten Ungarns, Polens, Tschechiens und der Slowakei genau an diesem Tag nach Leipzig eingeladen. Sichtlich bewegt betonte Gauck: "Hier und heute sagen wir es noch einmal ganz deutlich: kein 9. November ohne den 9. Oktober. Vor der Einheit kam die Freiheit."

Unter den Gästen in Leipzig waren auch der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und sein früherer US-Kollege Henry Kissinger sowie zahlreiche frühere Bürgerrechtler.

Am 9. Oktober 1989 waren in Leipzig mehr als 70 000 Menschen auf die Straße gegangen, um Freiheit und Demokratie zu fordern. Unter dem Ruf "Wir sind das Volk" zogen sie durch die Stadt. Die Staatsmacht beugte sich den friedlichen Demonstranten. Der Einsatzbefehl wurde zurückgezogen.

Sechs Persönlichkeiten, darunter Star-Dirigent Kurt Masur, hatten sich an diesem Tag vor 25 Jahren mit einem eindringlichen Appell gegen Gewalt an die Öffentlichkeit gewandt. Nur einen Monat später, am 9. November, fiel die Berliner Mauer.

Teil der alljährlichen Feiern am 9. Oktober in Leipzig ist das Friedensgebet in der Nikolaikirche. Von hier waren die ersten Montags-Demos ausgegangen. In diesem Jahr sollte dort der frühere US-Außenminister James Baker sprechen. Zu einem Lichtfest in der Innenstadt wurden 150 000 bis 200 000 Teilnehmer erwartet.

In seiner "Rede zur Demokratie" erinnerte Gauck an das Unrecht in der DDR. Dort habe ein Klima der Angst und Ohnmacht geherrscht. "Die DDR war ein Unrechtsstaat, es gab keine unabhängige Gerichtsbarkeit", sagte er. "Willkür regierte das Land."

Gauck würdigte auch die DDR-Bürger, die dem kommunistischen Regime den Rücken kehrten. Damals habe auch er selbst dies nicht so gesehen, sagte Gauck, der seinerzeit Pastor in Rostock war. Auch mehrere seiner Kinder verließen die DDR und zogen in die Bundesrepublik.

Heute sehe die überwältigende Mehrheit der Deutschen die Wiedervereinigung positiv, sagte der Bundespräsident. "Die Nation wächst zusammen. Die Einheit gelingt." Angesichts von Terrorismus, Anarchie und Gewalt in der Welt rief Gauck dazu auf, neu nachzudenken, welche Mitverantwortung Deutschland zu tragen bereit sei. Ausdrücklich dankte er dem damaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow, der die Freiheitsbewegungen in Osteuropa nicht mit Truppen unterdrückt habe.

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