Wolfgang Herborn: "Karneval ist eine mittelalterliche Sache"

Wer als Kulturhistoriker mit dem Karneval eines der rheinischsten Themen überhaupt erforscht, muss nicht nur Interesse haben, sondern auch eine entsprechende innere Haltung. Bei Wolfgang Herborn stimmt beides.

Wolfgang Herborn: "Karneval ist eine mittelalterliche Sache"
Foto: Wolfgang Henry

An den jecken Tagen als Robin Hood oder Harlekin unterwegs, hat sich der 70-Jährige mit der Geschichte der Kölner Fastnacht auseinandergesetzt. Und zwar von Anfang an bis 1600. Mit ihm sprach Sandra Kreuer.

General-Anzeiger: Als Rheinländer muss man erst mal verdauen, dass ausgerechnet in der Karnevalshochburg Köln der Begriff Fastnacht benutzt wurde. Wie konnte es dazu kommen?

Wolfgang Herborn: An und für sich darf das keinen überraschen. Aus der Geschichte der Fastnacht geht hervor, dass der Begriff Karneval hier in Deutschland erst um 1699/1700 belegt ist.

Wahrscheinlich ist er über Venedig hierhin gekommen. Während der Begriff Fastelovend der ältere ist, der bereits im Mittelalter existierte. Fastelovend oder Fastnachtsabend ist der Tag vor Beginn der großen Fastenzeit, also der Fastnachtsdienstag. Daher heißt es natürlich Fastnacht und nicht Karneval.

GA: Und damit ist der Fall klar?

Herborn: Damit wird auch schon das Forschungsproblem angerissen. Man hat versucht, allein aus dem Begriff Karneval die Geschichte des Karnevals irgendwie deutlich zu machen. Beispielsweise anhand von carrus navalis (Narrenschiff), obwohl in den ganzen lateinischen Quellen nie diese Zusammensetzung vorkommt.

Wenn so Umzüge für antike Götter genannt werden, die auf schiffähnlichen Wagen fahren wie die Nerteus in Norddeutschland oder die Isis, dann heißt ein solches Gefährt in der Übersetzung "das Schiff" oder "der Wagen der Göttin", aber nie carrus navalis.

Die Deutung "carne vale" als "Fleisch, lebe wohl" kann nach sprachgeschichtlichen Regeln nicht zum Wort Karneval werden. Karneval kommt von "carne levare" ("Fleisch wegnehmen"). Aber wie gesagt, das Wort Karneval ist erst im 18. Jahrhundert aus dem Italienischen in die deutsche Sprache eingedrungen.

GA: Sie haben sich dagegen dem Vorläufer, der Fastnacht, gewidmet. Wo beginnt denn die Spurensuche?

Herborn: Wie Heiligabend der Tag vor Weihnachten ist oder Sonnabend der Tag vor Sonntag, ist Fastelovend der Tag vor der großen Fastenzeit. Und die wurde auf dem Konzil von Benevent (1091) allgemein verbindlich auf ein bestimmtes Datum festgelegt. Damals wurde der Aschermittwoch zum Beginn der vorösterlichen Fastenzeit erklärt.

GA: Das würde wiederum das Aus für die These bedeuten, dass die Römer den Karneval an den Rhein gebracht haben.

Herborn: Die ersten Belege für Fastnachtsfeiern im Rheinland stammen aus dem frühen 13. Jahrhundert. Die Tatsache, dass sie sich alle auf das Ende der Fastnacht und den Beginn der Fastenzeit beziehen, zeigt, dass die Fastnacht in den Kreis des Kirchenjahres eingebunden ist.

Daraus entwickelte sich allmählich ein Brauch. Bis Aschermittwoch mussten alle Lebensmittel verzehrt werden, die anschließend nicht mehr erlaubt waren oder sich nicht lange hielten, wie Milchprodukte.

Die Folge waren Fress- und Saufgelage. Der Karneval ist also eine mittelalterliche Sache und nicht wie die Kölner oft behaupten und es heute noch im Karnevalsmuseum dargestellt wird, etwas Römisches. Das ist sicher.

GA: Quellen über den Ablauf des Fastnachtsfestes sind bis ins späte Mittelalter Mangelware, weil man für derart Alltägliches kein teures Pergament und Papier opfern wollte. Wo sind Sie dennoch fündig geworden?

Herborn: Trotz des Quellenreichtums, über den die Stadt Köln schon im Hochmittelalter verfügt, klafft beim Alltagsleben dieser Zeit eine Lücke. Die erste brauchbare Nachricht über den Karneval gibt es in Köln erst 1341.

Da legte der Rat fest, dass es verboten sein sollte, Zuschüsse aus der Stadtkasse zu irgendwelchen Feierlichkeiten einer Gesellschaft zu geben. Weitere Belege bieten die Kölner Stadtrechnungen von 1317 bis 1381 und 1500 bis 1510.

Sie geben Auskünfte über Ritter-Fastnachtsturniere, zeichnen die Löhne für den Aufbau von Tribünen auf und halten die Kosten fest, die für die Mieten von Häusern am Markt gezahlt wurden, von wo aus die Kölner Ratsherren dem Turnier zuschauten.

GA: Und was sind die ältesten Quellen?

Herborn: Die ältesten und wichtigsten Nachrichten finden sich stattdessen im Zisterzienserkloster Heisterbach im Siebengebirge. Zwischen 1219 und 1223 hat der dort lebende Mönch Cäsarius von Heisterbach Zwiegespräche oder Unterhaltungen über Wunder zwischen einem älteren Mönch und einem Novizen aufgezeichnet, die zur Belehrung und Unterweisung des Novizen gedacht waren.

GA: Haben Sie dazu ein Beispiel?

Herborn: Eine von zwei überlieferten Geschichten handelt von einem Weltpriester hier in der Nähe, der am Tag vor Aschermittwoch Mönche aus Prüm eingeladen hatte. Er tischt erlesene Weine und die besten Speisen auf und als es längst schon nach Mitternacht war, sagt er: "Na ja, als Absacker nehmen wir noch ein fettes Huhn."

Also schickt er den Küchenjungen los, es zu holen und auszunehmen. Dabei fasst der Weltpriester im Bauch des Huhns in eine Kröte, worüber er fürchterlich entsetzt ist und die Stimmung natürlich verfliegt. Hier wird also die Tatsache bestraft, dass man in der Fastenzeit Fleisch aß. Für uns ist aber wichtig, dass man am Tag zuvor ordentlich gefeiert hat. Und zwar in geistlichen Kreisen.

GA: Ab wann wurde sich denn verkleidet?

Herborn: Woher das Verkleiden als Bestandteil der Fastnacht kommt, kann man nicht erklären. Erstmals erwähnt wird es in den Jahren nach 1396. Aus der Zeit sind die ersten Vermummungsverbote bekannt.

GA: Was hat Sie bei Ihren Forschungen am meisten überrascht?

Herborn: Man muss sich von gewissen lieb gewonnenen Sachen verabschieden. So gab es im Mittelalter zunächst noch keine Maskierung, und der wichtigste Tag war der Dienstag.

Dienstag musste alles verzehrt werden, weil es sonst verdarb. Erst mit dem ersten Maskenzug am Fastnachtsmontag in Köln und der Gründung des "Festordnenden Comités" 1823 kam der Montag ins Spiel, der unbedeutendste Tag im Karneval.

GA: Warum gibt es keine Darstellungen der Fastnacht bis 1600?

Herborn: Das hängt wohl mit der Entwicklung in Köln zusammen, in der die Darstellung von Heiligen vorherrschend ist. "Köln ist schließlich das hillige Kölle".

Zur Person(ks) Der Kulturhistoriker Wolfgang Herborn (70) war bis 2005 Dozent für rheinische Landeskunde an der Bonner Universität. Seine zahlreichen Publikationen beschäftigen sich unter anderem mit dem Erzbistum Köln, dem Bierbrauen im Mittelalter und natürlich dem Karneval.
Der gebürtige Essener, der in Houverath in der Eifel aufwuchs, wohnt in Bad Münstereifel. Er ist verheiratet, hat eine Tochter und eine Enkelin.
Das Interview bezieht sich auf sein Buch "Die Geschichte der Kölner Fastnacht von den Anfängen bis 1600", Georg Olms Verlag, 152 Seiten, ISBN-Nummer 978-3487142098, 28 Euro.

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