Pierluigi Nicotera: "Die Forschungsregion ist ein Magnet"

Gründungsdirektor zum neuen Demenzforschungszentrum in Bonn

Pierluigi Nicotera: "Die Forschungsregion ist ein Magnet"
Foto: Volker Lannert

Bonn. Professor Pierluigi Nicotera ist Gründungsdirektor des neuen Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn. Mit ihm sprach Johannes Seiler.

General-Anzeiger: Fiel Ihnen die Entscheidung leicht, nach Bonn zu gehen?

Pierluigi Nicotera: Es war keine leichte Entscheidung, denn mein Forschungsgebiet in England war sehr interessant und erfolgreich. Aber das Angebot, ein neues Zentrum aufzubauen, war zu verlockend.

GA: Wie gefällt Ihnen Bonn?

Nicotera: In Bonn gibt es nicht nur viele exzellente Forscher und Intellektuelle, es ist auch eine sehr schöne Stadt mit großer Lebensqualität. Besonders mag ich den Rhein - er erinnert mich an das Meer in meiner Heimat Italien.

Service Weitere Infos unter www.dzne.deGA: Wozu brauchen wir das DZNE?Nicotera: Bereits heute leiden in Deutschland mehr als eine Million Menschen an der Alzheimer-Erkrankung. Bis zum Jahr 2040 werden neurodegenerative Leiden nach Herzkreislauferkrankungen und noch vor Krebs die zweithäufigste Todesursache sein. Unser Gesundheitssystem ist noch nicht ausreichend auf diese Herausforderung vorbereitet. Deshalb war es eine kluge Entscheidung der Politik, das DZNE zu gründen.

GA: Welche Beiträge soll das neue Zentrum leisten?

Nicotera: Es geht darum, die Grundlagen neurodegenerativer Erkrankungen zu erforschen, neue Diagnose-Instrumente und Therapien zu finden. Darüber hinaus soll das DZNE auch die Versorgung der Demenzkranken durch neue Wege in der Pflege verbessern.

GA: Wann wird es erste Therapien zur Heilung von Demenzerkrankungen geben?

Nicotera: Es ist noch nicht möglich, diese Krankheiten zu heilen. Bislang gibt es nur Medikamente, die das Fortschreiten verzögern. Falls sich bisherige Ansätze als erfolgreich erweisen, wird man vielleicht schon in zehn Jahren erste Therapien haben.

GA: Welche Rolle spielt die Früherkennung für das DZNE?

Nicotera: Je früher Demenzerkrankungen erkannt werden, umso besser können heute verfügbare Medikamente den Prozess verlangsamen. Die Entwicklung von Frühdiagnosen ist deshalb eine wichtige Aufgabe für das DZNE. Außerdem wollen wir die Helmholtz-Kohorte nutzen. 200 000 Menschen sollen dabei über einen Zeitraum von 20 Jahren regelmäßig untersucht werden. Anhand dieser Daten lässt sich der Alterungsprozess von gesunden Menschen verfolgen. Das hilft uns auch, altersbedingte Krankheiten besser zu verstehen.

GA: Sie haben zuvor in Leicester/ Großbritannien die Schädigung von Nervenzellen untersucht. Inwieweit lassen sich diese Forschungen für das DZNE nutzen?

Nicotera: Seit langem erforsche ich Mechanismen, die zum Absterben lebender Zellen führen - zuerst an der Leber, dann am Immunsystem und seit vielen Jahren an Nervenzellen. Ich glaube, das ist eine gute Voraussetzung für das außerordentlich breite Forschungsspektrum im DZNE.

GA: Das DZNE in Bonn soll einmal 400 Mitarbeiter umfassen. Wie wollen Sie zusammen mit den sieben anderen Standorten daraus ein großes Ganzes formen?

Nicotera: Als Koordinator geht es mir darum, alle beteiligten Institutionen zusammenzubringen. Nirgendwo gibt es ein Zentrum, das derart intensiv über Ländergrenzen hinweg Wissenschaft für ein gemeinsames Ziel betreibt. In der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen ist auch die Größe des DZNE weltweit einmalig. Für alle Beteiligten ist es deshalb sehr attraktiv, gemeinsam diesen neuen Weg in der Forschung zu beschreiten. Die Region Köln/Bonn hat gute Voraussetzungen, künftig eine führende Rolle bei der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen zu spielen.

GA: Wie viel Geld steht dem DZNE jährlich zur Verfügung?

Nicotera: Bund und Länder unterstützen das DZNE zunächst mit rund 40 Millionen Euro pro Jahr. Im Endausbau sollen dann rund 66 Millionen Euro fließen. Einzuwerbende Drittmittel kommen dann noch dazu.´

GA: Wie wollen Sie die besten Köpfe für das DZNE gewinnen?

Nicotera: Kein guter Wissenschaftler würde in eine Wüste gehen. Ein Magnet ist, wenn bereits andere Top-Forscher vorhanden sind. Und das ist hier der Fall - etwa mit der Bonner Universität und dem Uniklinikum, dem Forschungszentrum Caesar, Life & Brain, dem Forschungszentrum Jülich, den hervorragenden Teams in Köln und an den anderen DZNE-Standorten. Außerdem errichten wir eine sehr gute Infrastruktur und zahlen konkurrenzfähige Gehälter. Die Bewerbungsverfahren laufen.

GA: Die Gebäude für den DZNE-Hauptsitz müssen erst noch errichtet werden. Wann und wo beginnt die Forschung?

Nicotera: Wir haben zunächst im Forschungszentrum Caesar Räume bezogen. Ich hoffe, dass ich hier im September mit den ersten 15 Forschern und Mitarbeitern beginnen kann. Wir möchten die Schädigung von Synapsen, das sind die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, untersuchen. Die klinische Forschung wird beginnen, sobald wir hierfür einen Direktor gefunden haben.

GA: Wann startet der Baubetrieb des DZNE auf dem Venusberg?

Nicotera: Voraussichtlich 2012 sollen für den DZNE-Hauptsitz zwei neue Gebäude auf dem Venusberg fertig sein - eins für die klinische und ein weiteres für die Grundlagenforschung. Das Land stellt dafür rund 60 Millionen Euro bereit. Zurzeit suchen wir noch den besten Standort. Für die Forschergruppen brauchen wir aber möglichst bald mehr Platz. Deshalb denken wir darüber nach, ein provisorisches Übergangsgebäude am Uniklinikum zu errichten.

GA: Wann ist die Aufbauarbeit des DZNE abgeschlossen?

Nicotera: Vermutlich in fünf Jahren werden wir eine kritische Masse erreicht haben, damit wir unsere Kraft voll entfalten können. Doch wollen wir auch danach noch weiter wachsen und weltweit möglichst viele hochkarätige Partner hinzugewinnen.

Zur PersonProfessor Pierluigi Nicotera, geboren am 27. März 1956 in Catanzaro/ Italien, studierte Medizin in Pavia und promovierte am KarolinskaInstitut in Stockholm. Nach Professuren in Stockholm, Konstanz und Siena leitete er ab 2001 die Toxikologie an der Universität Leicester/ England. Seit April ist er Gründungsdirektor des DNZE in Bonn.

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