Alt-Nazis im Bundesjustizministerium Manfred Görtemaker: "Jeder kannte jeden"

Herausfinden, welchen Einfluss die NS-Vergangenheit von Mitarbeitern auf das Ministerium hatte, will Professor Manfred Görtemaker. Mit ihm sprach Margarita Erbach.

Wie konnten sich manche Nazi-Größen im Bundesjustizministerium (BMJ) so schnell an das neue Rechtssystem anpassen?
Manfred Görtemaker: Für uns ist es auch erstaunlich, dass der Rechtsstaat in der Bundesrepublik, ungeachtet der großen Zahl belasteter Personen, so gut funktioniert hat. Die Menschen konnten ja nach 1945 nicht einfach ihre Köpfe auswechseln, sondern lebten mit ihren früheren Überzeugungen fort. Trotzdem ist die Bundesrepublik nicht an ihrer Vergangenheit gescheitert.

Wie kam es dazu?
Görtemaker: Dazu trug unser Rechtsverständnis bei, das sich vom kodifizierten Recht ableitet. Das geltende Recht wird vom jeweiligen Gesetzgeber vorgegeben. Entscheidend ist, dass man sich innerhalb des vorgegebenen rechtlichen Rahmens bewegt. In diesem Verständnis macht es, jedenfalls scheinbar, keinen Unterschied, ob die Quelle des Rechts ein Parlament ist - oder eben Hitler. Mit dieser Begründung haben sich später viele gerechtfertigt, weil sie ja nichts "Unrechtes" getan hätten. Insofern passten sie sich auch schnell an die neuen politischen und rechtlichen Bedingungen der Demokratie in der Bundespublik an. Übrigens gibt es keinen einzigen Fall, in dem ein Richter oder Staatsanwalt nach 1949 für seine Taten vor 1945 verurteilt worden wäre.

Glauben Sie, dass im Bonner BMJ Dinge bewusst nicht aufgearbeitet wurden?
Görtemaker: Ich gebrauche hier in voller Absicht das Wort von der Kumpanei, weil ich glaube, dass die Leute natürlich voneinander gewusst haben. Das BMJ war klein - jeder kannte jeden.

Worum geht es Ihnen bei der Aufarbeitung des Aktenbestands des BMJ?
Görtemaker: Wir wollen vor allem herausfinden, welchen Einfluss die Tatsache hatte, dass eine große Zahl von Mitarbeitern des BMJ eine einschlägige NS-Vergangenheit besaß. Herrschte deshalb im BMJ eine Mentalität, die dieser personellen Kontinuität entsprach? Oder gab es nach 1945 einen Mentalitätsbruch? Das würde mich wundern, aber ganz auszuschließen ist es nicht.

Wieso begann die Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte des BMJ erst so spät?
Görtemaker: Das hatte mit dem Generationswechsel in den 80ern zu tun. Erst dann begann die konkrete Aufarbeitung, die vor allem von Justizminister Hans Engelhard gefördert wurde. Mit der Einsetzung einer Historikerkommission zur Untersuchung der Vergangenheit des Auswärtigen Amts 2005 nahm die Aufarbeitung eine neue Qualität an. Eine öffentliche Debatte wurde entfacht, und innerhalb der Bundesregierung stieg die Überzeugung, mehr zu handeln. Im BMJ war es nicht zuletzt die Ministerin selbst, die das Umdenken förderte.

Was möchten Sie mit der Aufarbeitung erreichen?
Görtemaker: Heute wissen wir, dass eigentlich überall prominente belastete Personen aus der Nazizeit in den Ministerien saßen. Das näher zu untersuchen und alte Legenden zu zerstören, ist schon ein wichtiger Zweck. Außerdem wollen wir mit unseren Publikationen und einer geplanten Ausstellung eine öffentliche Diskussion über juristische Ethik auslösen. Unser Ziel ist, dass die NS-Problematik in der Juristenausbildung stärker berücksichtigt wird. Juristen sollen keine Techniker der Macht sein, sondern sich als verantwortungsbewusste Staatsbürger begreifen.

Zur Person:
Manfred Görtemaker, Jahrgang 1951, ist seit Anfang der 90er Jahre Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Görtemaker war Gastprofessor unter anderem in Oxford, Bologna und Hanover (US-Bundesstaat New Hampshire)

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