Im Interview "Es darf keinen Eingriff ins Streikrecht geben"

DGB-Chef Reiner Hoffmann über das Gesetz zur Tarifeinheit, den Arbeitskampf bei der Bahn und die Konkurrenz unter den Gewerkschaften.

 "Ein sensibles Thema": DBG-Chef Reiner Hoffmann.

"Ein sensibles Thema": DBG-Chef Reiner Hoffmann.

Foto: dpa

Der oberster deutsche Gewerkschafter, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Reiner Hoffmann, begrüßt das Gesetz, mit dem Tarifkonflikte wie bei der Bahn verhindert werden sollen. Mit Hoffmann sprach am Rande des Betriebsrätetages in Bonn Kai Pfundt.

Hat Sie überrascht, dass die Bundesarbeitsministerin die Eckpunkte des Gesetzes zur Tarifeinheit bereits heute vorgelegt hat?
Reiner Hoffmann: Wir befinden uns schon seit einiger Zeit im Gespräch mit dem Ministerium über das Gesetz, wie übrigens die Arbeitgeber auch. Insofern ist es keine Überraschung, dass Frau Nahles heute damit an die Öffentlichkeit geht. Einen ersten Gesetzentwurf will sie wohl Ende der Woche vorlegen.

Was ist das Hauptanliegen der DGB-Gewerkschaften für das Gesetz?
Hoffmann: Wir brauchen eine Stärkung der Tarifautonomie. Dazu gehört die Formel: Ein Betrieb, ein Tarifvertrag. So kann sichergestellt werden, dass eine Konkurrenz der Beschäftigten gegeneinander vermieden wird. Das ist für uns ein überaus hohes Gut.

Also würde genau das verhindert, was im aktuellen Tarifkonflikt bei der Bahn das Hauptproblem ist: Dass zwei Gewerkschaften gegeneinander antreten?
Hoffmann: Die Situation bei der Bahn ist ein Beispiel dafür, wie eine Gewerkschaft mit dem Arbeitgeber für einzelne Berufsgruppen alleine verhandelt und nicht versucht, für alle Beschäftigten des Unternehmens einen guten Tarifvertrag abzuschließen. Es kann aber nicht angehen, dass einzelne Gruppen von Beschäftigten zu Lasten anderer versuchen, bessere Bedingungen für sich durchzusetzen.

Ist das eine generelle Absage an Organisationen wie die Gewerkschaft der Lokführer GDL, den Pilotenverband Cockpit oder die Ärzteorganisation Marburger Bund?
Hoffmann: Nein. Wir haben nichts gegen einen Pluralismus unter den Gewerkschaften. Da sind wir ganz selbstbewusst, denn wir wissen, wie stark die DGB-Gewerkschaften in den Betrieben vertreten sind. Rund 80 Prozent der Betriebsratsvorsitzenden zum Beispiel gehören einer der acht DGB-Organisationen an. Aber wenn es in den Betrieben keine Tarifeinheit gibt, können sich am Ende die Arbeitgeber aussuchen, mit wem sie verhandeln, und versuchen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb gegeneinander auszuspielen. Dass dabei nichts Positives für die Beschäftigten rauskommt, ist klar.

Kritiker des Gesetzes sagen, dass es einen Eingriff in ein Grundrecht bedeutet, nämlich das Streikrecht.
Hoffmann: Wir haben von Anfang an klargemacht, dass es das mit uns nicht geben wird. Die kommende Gesetzesregelung muss grundrechtskonform sein. Darauf hin werden wir den Entwurf sehr genau prüfen.

2010 ist eine entsprechende Regelung vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden. Der Beamtenbund hat bereits mit Klage gedroht. Warum sollten die Verfassungsrichter nun anders entscheiden?
Hoffmann: Es geht in der Tat um ein äußerst sensibles Thema. Ich gehe allerdings davon aus, dass die Juristen im Ministerium es schaffen werden, ein Gesetz zu formulieren, dass auch vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird. Wir haben jedenfalls bei allen Gesprächen klargemacht, welche Regelungen wir mittragen werden und welche nicht. Das verfassungsrechtlich verbürgte Grundrecht der Koalitionsfreiheit ist für uns unantastbar.

Wo liegen denn für Sie die Knackpunkte?
Hoffmann: Es darf keinen wie auch immer gearteten Eingriff ins Streikrecht geben. Wenn also das Streikrecht in dem Gesetz zum Thema würde oder Regelungen für eine Friedenspflicht, werden wir das auf keinen Fall mittragen.

Aber mit dem Kernpunkt des Gesetzes sind Sie einverstanden: Dass die Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder in einem Unternehmen hat, die Tarifhoheit bekommt?
Hoffmann: Das Mehrheitsprinzip ist ein grunddemokratisches Prinzip, das wir auch von Wahlen auf der politischen Ebene kennen. Ich bin als DGB-Chef übrigens realitätsnah genug um zu sehen, dass unsere Gewerkschaften keineswegs in allen Bereichen in der Mehrheit sind. Diese Situation haben wir ja seit Jahren etwa bei den Ärzten. Und um einem Missverständnis vorzubeugen: Wir wollen Organisationen wie der Lokführergewerkschaft GDL nicht das Wasser abgraben. Die GDL ist für diese Berufsgruppe die Mehrheitsgewerkschaft - aber nicht bei den anderen bei der Bahn zu findenden Berufen. Das sollte die GDL auch anerkennen und zu einer Kooperation zurückkehren. Das ist kein Zauberwerk. Schließlich haben wir über die Jahre durchweg gute Erfahrungen beim Abschluss von Tarifgemeinschaften mit anderen Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen Beamtenbundes gesammelt.

Die Gegner des Gesetzes argumentieren, hier lege die Regierung ein von den mächtigen DGB-Gewerkschaften bestelltes Gesetz vor, dass kleine Organisationen an den Rand drängt.
Hoffmann: Dass die DGB-Gewerkschaften in der Lage sein sollten, den Gesetzgeber zu bestimmten Regelungen zu treiben, wäre ein echte Überraschung. Noch einmal: Es geht uns nicht darum, kleinere Gewerkschaften und Organisationen in ihren Rechten zu beschneiden. Uns geht es darum, eine vernünftige Tarifpolitik zum Wohle aller Beschäftigten eines Unternehmens zu garantieren.

Sie sind zur Verleihung des Betriebsrätepreises nach Bonn gekommen. Sind die Gewerkschaften mit ihren Organisationsformen wie zum Beispiel den Betriebsräten eigentlich auf den rasanten Wandel der Arbeitswelt eingestellt?
Hoffmann: Die Arbeitswelt befindet sich in einem permanenten Wandel. Die Fragen liegen offen vor uns. Wie gestalten wir den demografischen Wandel in den Betrieben? Wie gehen wir mit der Digitalisierung um, die bedeutet, dass Beschäftigte nicht mehr an einen festen Arbeitsplatz oder eine feste Arbeitszeit gebunden sind? Wie sichern wir die Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten? Bei der Lösung dieser Probleme machen gerade die Betriebsräte in vielen Firmen einen hervorragenden Job. Und, nebenbei, finde ich es erschreckend, dass im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot zu all diesen zentralen Mitbestimmungsfragen eine erschreckende Leerstelle klafft.

Welche Botschaft geben Sie den Betriebsräten denn mit?
Hoffmann: Es ist eher eine Botschaft an die Arbeitgeber: Wenn ich mir anschaue, welche Arbeit die Betriebsräte jeden Tag leisten - für die Unternehmen wohlgemerkt - und wie wenig Wertschätzung es dafür gibt, werde ich regelrecht wütend. Manche Arbeitgeber meinen, sie müssten ihre Betriebe zu mitbestimmungsfreien Zonen machen. Manche Unternehmer bedienen sich zu diesem Zweck sogar großer Anwaltskanzleien. Wir werden diese Praktiken nicht länger zulassen - und über das Betriebsverfassungsgesetz könnte man einiges regeln.

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