Interview mit Jussi Adler-Olsen Der Krimi-Autor über eBooks, Brutalität und Zeltlager

BONN · Mit Krimis wie "Erbarmen", "Schändung", "Erlösung" und "Verachtung" hat sich der Autor Jussi Adler-Olsen eine hartgesottene Fangemeinde erschrieben, die dessen Mischung aus Spannung und Brutalität schätzt. Über seine Arbeit, das Problem der deutschen Titel und seine Anfänge als Literat sprach Adler-Olsen mit Stephanie Traichel.

 Seine Ehefrau ist die härteste Kritikerin: Autor Jussi Adler-Olsen im Gespräch.

Seine Ehefrau ist die härteste Kritikerin: Autor Jussi Adler-Olsen im Gespräch.

Foto: Stephanie Traichel

Sie gehören momentan zu den erfolgreichsten Autoren in Europa. Ihre Thriller werden in mehr als 20 Ländern veröffentlicht. Stimmt es, dass Sie etwas gegen E-Books haben?
Jussi Adler-Olsen: Nein, ich mache mir nur Sorgen um die Lese-Kultur.

Inwiefern?
Adler-Olsen: Ich denke, in 50 Jahren wird es das Buch, wie wir es heute kennen, nicht mehr geben. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin nicht konservativ. Ich besitze selbst ein E-Book, das kann in vielen Situationen sehr praktisch sein. Aber: Ohne den klassischen Buchhandel würde etwas fehlen. Allein schon ein Gespräch über ein Buch oder die Kundenberatung im Geschäft inspiriert mich, ein Buch zu lesen.

Das ganze System würde zusammenbrechen. Wir sprechen hier von Tausenden Arbeitsplätzen, die verloren gehen würden. Kein Papierhandel, kein Druck, kein Vertrieb, keine Logistik. Und letztendlich weniger Verlage. Ich bin ein loyaler Mensch. Diesem System habe ich meinen Erfolg zu verdanken. Also stehe ich hinter ihm. Aus dem Grund bin ich dafür, erst das gedruckte Buch und dann mit etwas Abstand das E-Book zu veröffentlichen. So können beide Branchen überleben.

Sie haben das ja mit Ihrem aktuellen Roman versucht...
Adler-Olsen: Ja, ich habe versucht, meinen kleinen Kampf zu führen. Ich wollte die E-Book-Rechte erst sechs Monate später freigeben.

Aber Sie sind gescheitert.
Adler-Olsen: Ja, denn niemand hat mich unterstützt, außer mein dänischer und mein deutscher Herausgeber. Obwohl sie wussten, dass ich damit scheitern würde.

Ihr Buch wurde bereits wenige Tage nach Veröffentlichung raubkopiert und illegal als Datei ins Internet gesetzt.
Adler-Olsen: Ja.

Zurzeit wächst eine ganze Generation mit Touchpads und Smartphones heran. Könnten E-Books nicht eine Chance sein, diese jungen Leute zum Lesen zu motivieren?
Adler-Olsen: Nein, denn die jungen Leute gucken auf den Smartphones Youtube-Videos und lesen Facebook-Posts und SMS. Das sind kurze Texte. Für ein Buch braucht man einfach mehr Konzentration. Vermutlich werden sich deshalb auch die Texte in den nächsten Jahren ändern. Das ist sehr traurig.

Ihre erfolgreiche Carl-Mørck-Serie soll zehn oder elf Bände lang werden. Stimmt es, dass Sie das Finale bereits geschrieben haben?
Adler-Olsen: Ja, ich habe erst die Geschichte von Kommissar Carl Mørck geschrieben. Dann die von der Sekretärin Rose und dann die von dem Assistenten Assad. Die Sachen liegen in einem Tresor. Und nur ein guter Freund von mir weiß, was darin steht. Sollte ich mal sterben, kann das Ende veröffentlicht werden.

[kein Linktext vorhanden]Macht es Ihren Job denn einfacher, wenn Sie wissen, wo die Reise am Ende hingeht?
Adler-Olsen: Nein. Denn durch den Erfolg der Bücher werde ich in viele Dinge einbezogen, die mit dem Schreiben an sich nichts zu tun haben. Ich bin an 140 Tagen im Jahr unterwegs, um mit Verlegern zu sprechen, halte Lesungen und bin mit an den Übersetzungen beteiligt. Das macht es mir schwer, die Abgabetermine einzuhalten. Manchmal muss ich sechs Kapitel in acht Tagen schreiben.

Wie selbstkritisch gehen Sie dabei vor?
Adler-Olsen: Wissen Sie, ich habe junge und alte Leser, Männer und Frauen, aus allen Gesellschaftsgruppen - da kann man es nicht jedem Recht machen. Aber meine härteste Kritikerin ist meine Ehefrau. Sie liest die Texte immer als erste. Und wenn sie sagt, dass sie die Figuren im Buch nicht richtig fühlen kann, dann muss ich nacharbeiten.

Stimmt es, dass Sie die Titel ihrer deutschen Bücher nicht mögen?
Adler-Olsen: Nein, das stimmt nicht. Ich mag es nur nicht, dass die Titel nicht darauf schließen lassen, worum es in der Geschichte geht. Und ich frage mich, ob wir auch noch bei Titel acht ein Wort finden, das gut in die Reihe passt.

Die Titel ähneln denen von Stieg Larssons Romanen sehr...
Adler-Olsen: Ja, das ist wahr. Darüber bin ich nicht sehr glücklich. Ich hätte gerne meine eigene Plattform. Aber mein Verleger sagt, dass die Titel in Deutschland gut ankommen. Und ich vertraue ihm.

Wann war das erste Mal, dass Sie das Bedürfnis hatten, ein Buch zu schreiben?
Adler-Olsen: Das ist schwer zu sagen. Als ich 13 oder 14 war, war ich in einem Zeltlager. Dort haben wir uns Gruselgeschichten erzählt. Während die anderen Geschichten von Edgar Allen Poe nacherzählt haben, habe ich mir etwas Neues ausgedacht. Mein Freund hat darauf vier Tage nicht schlafen können, weil er sich so gefürchtet hat. Da habe ich gemerkt, dass ich gut Geschichten erzählen kann. Das hat auch ein Lehrer bemerkt, der mich deswegen zu einem Schreibwettbewerb schickte, den ich gewann.

Was haben Ihre Eltern dazu gesagt? Ihr Vater war ja ein bekannter dänischer Psychiater. Wollte der nicht, dass Sie auch Arzt werden?
Adler-Olsen: Mein Vater hat mich damals sehr unterstützt. Er sagte mir: Mach nicht nur eine Sache im Leben. Tu einfach alles, was Dir gefällt.

Haben Sie das beherzigt?
Adler-Olsen: Ja. Ich wollte Verleger werden und wurde es. Ich wollte Film-Musik komponieren und tat es. Ich wollte zur Friedensbewegung und ging dorthin. Und ich wollte Bücher schreiben.

Sie haben in Ihrer Kindheit viel Zeit mit Ihrem Vater in Psychiatrien verbracht. Wirkt sich das auf Ihre Bücher heute aus?Adler-Olsen: Mein Vater hat mir gezeigt, die Patienten nicht einfach als Irre abzustempeln, sondern hinter die Fassade zu blicken. Deswegen mag ich Menschen, die etwas verrückt sind. Sie sollten meine Freunde kennenlernen. (Lacht.) Deshalb baue ich gerne undurchsichtige Figuren in meine Bücher ein. Zum Beispiel die Sekretärin Rose. Sie ist nicht verrückt, sondern ein Mysterium. Und darum geht es in meinen Büchern - nicht um den Kriminalfall, sondern um die Geschichte der Figuren. Über die wird der Leser in den nächsten Bänden noch viel erfahren.

In Ihren Psychothrillern geht es zuweilen sehr brutal zu. Sind sie selbst ein bisschen verrückt?
Adler-Olsen: Nein, ich denke, dass ich geistig sehr gesund bin. Ich sehe die Dinge sehr klar. Aber ich sehe ja, was in der Welt vor sich geht. Das echte Leben ist äußerst brutal - ich forme daraus nur meine Geschichten.

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