Bärbel Beuermann: "Das Schulsystem setzt auf Ausgrenzung"

Die Spitzenkandidatin der Linken über Rot-Rot-Grün, Hannelore Kraft und die 30-Stunden-Woche.

 "Die SPD hat Angst, dass es ihr nicht gelingt, die Linke aus dem Landtag herauszuhalten", sagt Bärbel Beuermann.

"Die SPD hat Angst, dass es ihr nicht gelingt, die Linke aus dem Landtag herauszuhalten", sagt Bärbel Beuermann.

Foto: dpa

Bonn. Erstmals tritt die Linke bei einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an. Laut Umfragen hat sie gute Chancen, ins Parlament zu kommen. Mit der Spitzenkandidatin, Bärbel Beuermann, sprach Bernd Eyermann.

General-Anzeiger: Die Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann hat im GA gesagt, über ein rot-rot-grünes Bündnis brauche man gar nicht zu reden, weil die Linken zuerst klären müssten, ob sie regieren wollten. Wollen Sie regieren?

Bärbel Beuermann: Es wäre ja schön gewesen, wenn Frau Löhrmann mich das mal direkt gefragt hätte.

GA: Dann frage ich Sie nochmal: Wollen Sie regieren?

Beuermann: Dass wir Verantwortung übernehmen wollen und auch können, zeigen unsere zahlreichen Mandate in den Kommunalparlamenten, den Landschaftsverbänden, dem RVR, sowie in den Regionalräten.

GA: ... in denen Sie aber in aller Regel in der Opposition sind. Die Frage lautete: Können Sie sich vorstellen, im Land Regierungsverantwortung zu übernehmen?

Beuermann: Grüne und SPD müssen sich auf unsere Forderungen zubewegen, denn es geht uns schließlich um die Realisierung unserer Ziele, und nicht um Koalitions- oder Wahlversprechen.

GA: Ihr Parteichef Oskar Lafontaine will Rot-Rot-Grün in NRW. Fühlen Sie sich unter Druck gesetzt, wenn er von Ihnen die Regierungsbeteiligung fordert?

Beuermann: Die Landesverbände sind in ihren Entscheidungen autonom. Bei uns ist dabei das Votum der Basis sehr wichtig. Das weiß und unterstützt auch der Parteivorsitzende.

GA: Bewegen sich SPD und Grüne denn auf Sie zu?

Beuermann: Das sieht im Moment nicht so aus. Beide haben nicht ausgeschlossen, dass es zu einem Personalabbau im öffentlichen Dienst kommt oder dass es weitere Privatisierungen geben wird. Sie sagen zwar, dass sie die Kommunen finanziell besser ausstatten wollen, aber ob sie das auch tun? Unsere Linie ist da hingegen eine klare, und wir werden keine faulen Kompromisse eingehen.

GA: In der Bildungspolitik sind Sie näher beieinander.

Beuermann: Wir wollen etwa die Abschaffung von Studiengebühren, den Wegfall der Kopfnoten und die Wiedereinführung der Grundschulbezirke, damit Schulen nicht ausbluten. Außerdem setzen wir uns für die Einführung der inklusiven Ganztagsschule "Eine Schule für Alle", von der ersten bis zur zehnten Klasse ein.

GA: Wie stellen Sie sich das vor?

Beuermann: Die bisherigen Schulformen sollen zusammengeführt werden, und es sollen Oberstufenzentren eingerichtet werden, in denen das Abitur nach 12 oder 13 Jahren gemacht werden kann.

GA: Das wäre die Abschaffung von Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen.

Beuermann: Nicht die Abschaffung, sondern die Zusammenführung.

GA: ... was auf dasselbe hinausliefe.

Beuermann: Das deutsche Schulsystem steht zurecht in der Kritik sämtlicher internationaler Experten, denn es setzt auf bewusste Ausgrenzung. Eine faire, einheitliche und doch individuelle Bildung kann nicht an der derzeitigen Dreigliederung festhalten. Zudem setzen wir uns für die tatsächliche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ein.

GA: Welche Vorteile sehen Sie denn darin, dass Kinder und Jugendliche länger gemeinsam lernen?

Beuermann: Kinder können ihre sozialen Kompetenzen an andere Kinder heranbringen. Schwächere können sich orientieren, lernen von fitteren Kindern. Die Heterogenität der inklusiven Schule ist eine Bereicherung für Schüler und Schülerinnen sowie Lehrer und Lehrerinnen. Zu diesem System gehören auch mehr Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen.

GA: Das alles kostet viel Geld. Woher soll es kommen?

Beuermann: Vor allem kostet es Geld, nicht genügend in Bildung zu investieren! Beispielsweise fordern wir dazu die Millionärssteuer und ein faireres, transparentes Steuersystem. Es darf nicht auf der einen Seite wachsende Armut geben, während eine finanziell starke Minderheit auch noch Privilegien erhält.

GA: Wie viel soll das denn für die Landeskasse bringen?

Beuermann: Grundlage der Finanzierung ist unser vorliegendes Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP NRW), dem ein Steuerkonzept zu Grunde liegt, das eine stärkere Besteuerung hoher und höchster Einkommen vorsieht. Die sich aus diesem Steuerkonzept ergebenden Steuermehreinnahmen der öffentlichen Haushalte in Deutschland sind entsprechend auf den Länder- bzw. Kommunalanteil für NRW heruntergerechnet.

GA: Wie empfinden Sie es eigentlich, dass die SPD vor der Wahl nicht mit Ihnen reden will?

Beuermann: Als sehr ignorant und unsouverän. Auf der kommunalen Ebene arbeiten wir punktuell mit SPD und Grünen zusammen. Wer mich kennt, weiß, dass mit mir zu reden ist. Die SPD hat offenbar Angst, dass es ihr nicht gelingt, die Linke aus dem Landtag herauszuhalten.

GA: Worüber würden Sie sich denn gern mal mit Frau Kraft unterhalten?

Beuermann: Über ihre Ablehnung der Linken. Warum sie unsere berechtigten Forderungen nach einer chancengerechteren, sozialeren Gesellschaft ablehnt. Denn die SPD springt ja auf viele Forderungen der Linken auf. Beispiel Mindestlohn oder Abschaffung der Rente mit 67, Stärkung der Kommunen.

GA: Sie sind auch für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Wie passt das wirtschaftlich zusammen?

Beuermann: Das lässt sich nicht in einem Satz erklären, aber ein Stichwort ist die Stärkung der Binnennachfrage. Zudem ist die 30-Stunden-Woche die einzig denkbare Alternative für den Abbau der Massenerwerbslosigkeit.

GA: Ich stelle mir vor, ich wäre Unternehmer: Mein Betrieb produziert weniger, weil die Menschen weniger arbeiten, ich habe also weniger Einnahmen, ich soll aber den gleichen Lohn zahlen. Das geht doch nicht.

Beuermann: Doch, das geht sehr wohl. Wir müssen die Spaltung zwischen Erwerbslosen, Unterbeschäftigten und Vollbeschäftigten überwinden. Zuwächse bei Produktivität und beim Wachstum haben vor allem Unternehmer eingestrichen, bzw. der Staat durch massive Sparmaßnahmen auf Kosten der Beschäftigten.

GA: Die CDU warnt vor Kommunisten und Sozialisten. Wie bewerten Sie das?

Beuermann: Ach, wissen Sie was, das amüsiert mich nur noch. Wir wollen doch niemandem das Haus oder das Auto abnehmen! Die Konservativen hetzen, um sich jeder inhaltlichen Auseinandersetzung zu entziehen.

Zur PersonBärbel Beuermann, Jahrgang 1955, kommt aus Herne. Die Lehrerin an einer Förderschule ist geschieden und hat keine Kinder. Im Stadtrat von Herne sitzt sie seit 2001, erst für die PDS, nach der Vereinigung mit der WASG für die Linke. Im als linksradikal geltenden NRW-Landesverband der Linken ist sie stellvertretende Vorsitzende.

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