Kommentar Zuwanderung in den Sozialstaat: Nicht grenzenlos

Der Spruch der Luxemburger Richter gegen Sozialleistungsmissbrauch in der Gemeinschaft musste so kommen. Seit Jahren enthält die kritisierte Richtlinie zur Freizügigkeit eben diese Bestimmungen, die nun als Errungenschaft gefeiert werden: keine Hilfen in den ersten drei Monaten, danach nur, wenn man zuvor gearbeitet hat.

Eine Gleichstellung mit Einheimischen und deren Ansprüchen frühestens nach fünf Jahren. Das alles war längst beschlossen. Nun wurde es bestätigt. Der Riegel gegen EU-Immigranten inklusive einer Handhabe gegen unberechtigte Forderungen nach Geldern zur Unterstützung war im EU-Recht immer festgezurrt. Der Streit war eine Luftnummer zur Wahlkampfzeit, derer sich viele Stammtischredner gern bedient haben. Nun herrscht die gleiche Klarheit wie vorher - sieht man davon ab, dass Deutschland künftig jeden einzelnen Fall prüfen muss, weil ein pauschaler Ausschluss von Hartz IV nicht legal ist. Eigentlich könnten sogar die EU-Kritiker damit zufrieden sein.

Doch das werden sie nicht, weil die Zerrbilder einer drohenden Überfremdung, die ein Ausbluten der Sozialkassen nach sich ziehen könnte, zu gut in ihr Weltbild passen. Aber es gibt keinen Ausverkauf der Mitgliedstaaten. Schon bei der Abfassung der Freizügigkeits-Richtlinie, die zu den großen Errungenschaften Europas gehört, hat man Grenzen eingezogen. Sie entsprachen dem, was in den zurückliegenden Monaten an Bedingungen eingefordert wurde. Dennoch zeigt dieser Richterspruch auf, dass man Unterschiede machen muss - zwischen denen, die tatsächlich nur kommen, weil man von deutscher oder anderer Sozialhilfe besser leben kann als zu Hause, und denen, die als Arbeitnehmer dringend gebraucht werden.

Der Streit um dieses Verfahren, aber auch um die Öffnung der Grenzen zu den jüngeren Mitgliedstaaten, dokumentiert ein größer werdendes Problem. Wir brauchen ausländische Zuwanderer. Es gibt schon heute weite Teile unserer Wirtschaft, unseres Gesundheits- und Pflegewesens und unserer Dienstleistungsbranche, die zurückgestutzt werden müssen, weil Stellen nicht mehr besetzt werden können. Dass Krankenhäuser ganze Operationstrakte schließen müssen, weil es an geschultem OP-Personal mangelt, sollte zu denken geben. Es ist richtig, dass diejenigen, denen es nur um das Abgreifen von Sozialhilfe geht, den Ruf der anderen, die gerne kommen und arbeiten, ohne dem Staat jemals zur Last zu fallen, beschädigen. Man vermisst im Streit darüber allerdings die besonnenen Stimmen, die aussprechen, dass es nur eine begrenzte Zahl von schwarzen Schafen ist.

Für alle anderen sollten wir das Recht der Freiheit zu leben und zu arbeiten, wo man will, verteidigen - und sie dazu ermuntern, dass ihre Wahl auf Deutschland fällt.

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