Kommentar Weihnachtsbotschaften - Klartext zum Fest

Das kommt selten vor, aber an diesem Weihnachten ist es so: Die Weihnachtsbotschaften der christlichen Kirchen fallen konkreter aus als die des Bundespräsidenten. Am auffälligsten ist das beim Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, dem Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch.

Zollitsch nimmt das Weihnachtsfest zum Anlass, für mehr Toleranz zu werben. Für einen hohen Kirchenmann eine Selbstverständlichkeit. Aber er verbindet dies mit einer Kritik an islamischen Staaten, die es in sich hat: "Wir müssen feststellen, dass es in fast keinem der muslimischen Länder wirkliche Religionsfreiheit gibt", sagt Deutschlands oberster Katholik und fügt hinzu: "Die Christen sind derzeit die meist verfolgte Religion in der ganzen Welt."

Das lässt aufhorchen, breitet hier doch jemand nicht einen harmoniegetriebenen Frieden über das Weihnachtsfest aus, sondern redet Klartext. Klartext, der an die Worte Willy Brandts erinnert: "Wenn ich sagen soll, was mir neben dem Frieden wichtiger sei als alles andere, dann lautet meine Antwort ohne Wenn und Aber: Freiheit."

Ein Thema mit vielen Facetten. Freiheit in Afghanistan. Was wäre das für ein Weihnachten, wenn die Taliban wahr machten, was sie gerade versprochen haben: Toleranz! Freiheit in Russland, wie sie der EU-Ratspräsident in diesen Tagen ebenfalls in bemerkenswerter Deutlichkeit bei Wladimir Putin angemahnt hat.

Ja und Freiheit im eigenen Land! Wie Willy Brandt sagte: Freiheit nicht für wenige, sondern für viele. Der Bundespräsident hat davon in seiner Weihnachtsbotschaft eindringlich gesprochen. Von der Friedens- und Freiheitsidee Europa und der aktuellen Gefährdung des Zusammenhalts der Europäischen Union. Von sozialer Gerechtigkeit als Ausfluss der Freiheit in einem Land, in dem die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht. Von der fehlenden Freiheit, die manchem Ausländer hier widerfährt, weil er nicht willkommen ist.

Joachim Gauck kleidet das alles in die Worte: "Ja - wir wollen ein solidarisches Land." Manchem ist das zu pastoral, zu unverbindlich. Manche erwarten von Gauck das, was auch früher nur so geheißen hat: Ruck-Reden. Reden, die von eben auf gleich die Wirklichkeit verändern. Die aber gibt es nicht. Zumal ein Bundespräsident eben keine Entscheidungsgewalt hat, kein Nebenaußenminister ist, schon gar kein Nebenkanzler.

Bei Gauck kommt hinzu, dass er mit einer Kanzlerin auskommen muss, die ihn ursprünglich nicht gewollt hat. Deshalb wird er zu Recht allen Versuchungen widerstehen, ihr ins konkrete politische Handwerk zu pfuschen. Das ist medial unbefriedigend und dennoch klug. Mit Hau-Ruck ändert man nichts in dieser Gesellschaft. Wohl aber mit klaren Aussagen. Und da kann auch der Bundespräsident noch zulegen, nicht nur in Weihnachtsansprachen.

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