Kommentar Wahlkampagnen der Volksparteien - Was für eine Marke!

Als Martin Luther 1517 sein Thesenpapier zum Ablasshandel an der Schlosskirche zu Wittenberg anbrachte, da lohnte sich ein Blick darauf. Das Plakat enthielt eine wichtige, für viele Menschen sogar wegweisende Botschaft. Ganz anders sieht es bei jenen lästigen Plakaten aus, mit denen die Parteien heute anlässlich des Wahlkampfes das ganze Land zukleistern.

Ihre schier unermessliche Anzahl steht, leider traditionell, im umgekehrten Verhältnis zur Aussagekraft - wenn man nicht die berühmte Metaebene betrachtet. Hier allerdings wird es dann wieder interessant. Denn der große Verlierer einer Experten-Analyse ist, wie könnte es anders sein: die SPD. Was sind das nur für Strategen, die deren Wahlkampf organisieren?

Zugegeben: Die Aufgabe ist nicht einfach. Nach einem Markenkern muss man bei der SPD inzwischen länger suchen. Und der Kandidat Peer Steinbrück hat als Lichtgestalt in etwa die Leuchtkraft einer Sternschnuppe, so sehr hat seine Glaubwürdigkeit in den vergangenen Monaten gelitten.

Wann war ein Kanzler-Herausforderer in den Umfragen je so abgeschlagen? Die Versuchung war also groß, sich nicht zu sehr auf das Programm der SPD zu konzentrieren oder gar auf ihren Kandidaten, sondern sich am großen Star des Gegners abzuarbeiten, ihn schlicht zu enttarnen. Denn gefühlt ist Angela Merkel eine überaus erfolgreiche Bundeskanzlerin, und genau das ist wiederum zentraler Inhalt der CDU-Plakataktionen.

Merkel hat Deutschland bisher sicher und souverän durch die Krise gebracht. Dem Land geht es im europäischen Vergleich nicht nur gut, sondern fast schon aufreizend hervorragend - ganz gleich, wie groß der Anteil der Bundesregierung daran in Wahrheit ist. Was in den vergangenen Jahren alles nicht funktioniert hat und wie sehr große Teile des Kabinetts versagt haben, gerät da leicht in Vergessenheit.

Zu nennen wären etwa Thomas de Maizière, Hans-Peter Friedrich, Ronald Pofalla und Kristina Schröder. Doch geschadet hat es der Kanzlerin nicht, und es wäre naiv zu glauben, dass eine Plakatkampagne daran etwas ändern könnte. Im Gegenteil.

Je mehr sich ihre politischen Gegner ereifern, umso ruhiger wird Merkel. In einem emotional heißen Umfeld kann sie sich noch leichter als kühler Kopfmensch profilieren, der für pragmatische Solidität steht. Die Menschen mögen das Selbstbeherrschte, Unprätentiöse, Leidenschaftslose. Die Zeit der polternden Machos in der Politik ist schon lange vorbei. Dass da womöglich eine Frau im Kanzleramt sitzt, die nur auf Sicht fährt und keine Vorstellung hat, wohin die Reise gehen soll - die Menschen nehmen es hin.

Die Marke Merkel funktioniert. Frontalangriffe auf sie beschädigen allein den Angreifer. Aber der agiert womöglich bereits nach dem Motto: Wer schon verloren hat, hat nichts mehr zu verlieren.

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