Kommentar Terrorismus im Netz - Cyber-Dschihad

Es ist ein Alarmsignal: Dass Dschihadisten einen Fernsehsender über Stunden lahmlegen und dessen Webseiten und Social-Media-Plattformen für eigene Propaganda umfunktionieren, hat es bisher noch nicht gegeben.

Dazu kommt: Die Cyber-Attacken trafen nicht irgendeinen x-beliebigen Sender, sondern das mediale Fenster der französischsprachigen Welt. Mehr als 250 Millionen Haushalte erreicht der Sender weltweit, sie konnten Zeugen des blackouts auf den Bildschirmen werden: ein PR-Supergau für die Regierung in Paris, die nach den heimtückischen Anschlägen im Januar auf die Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt gerade erst ihr Engagement im Kampf gegen den islamistischen Terror verstärkt hat.

Mag sein, dass diese Hacker-Attacke auch eine Reaktion der Terroristen des sogenannten Islamischen Staates auf die Niederlagen ist, die sie in jüngster Zeit im Irak und in Syrien hinnehmen mussten. Aber es wäre leichtfertig, sich mit dieser Erklärung zu begnügen. Denn erstens sind Irak und Syrien schon längst nicht mehr die einzigen Fronten, an denen der IS kämpft: Die Terrormiliz versucht in Libyen und anderen nordafrikanischen Ländern ebenso Fuß zu fassen wie in Nigeria, wo der berüchtigte Anführer von Boko Haram in Nigeria dem Kalifat die Treue geschworen hat.

Und zweitens ist der Cyberkrieg - also die Instrumentalisierung des Internets für die Durchsetzung der eigenen Ziele - inzwischen zu einem mächtigen Pfeiler in der Strategie des Terrors geworden. Der IS-Hackerangriff auf den Fernsehsender TV 5 Monde ist ein erschreckender Beleg dafür, wie schnell die Professionalisierung bei den Dschihadisten voranschreitet. Noch vor einem Jahr stuften britische Sicherheitsexperten die Internet-Kompetenz des IS als amateurhaft ein - das hat sich offenbar grundlegend geändert.

Vor allem durch das Internet werden Dschihadisten zu einer Bedrohung, die weit über ihren eigentlichen geografischen Handlungsspielraum hinausreicht. Der enorme Erfolg der IS-Headhunter bei der Rekrutierung von Nachwuchs gerade in der westlichen Welt macht dies deutlich: Tausende folgen dem Ruf der Fanatiker, die - bizarr genug - mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts für die Wiedereinführung des Mittelalters kämpfen. Schon jetzt gilt die Gefahr, die durch Online-Radikalisierung ausgeht, als ebenso groß wie die Gefahr durch zurückkehrende Kämpfer.

Muss man dem tatenlos zusehen? Muss man nicht auch im Internet der Terrorpropaganda Grenzen setzen? Das Internet zeigt hier jedenfalls seine ganze Ambivalenz: Die Freiräume, die es schafft, die enormen Mobilisierungsfähigkeiten der sozialen Netzwerke - sie machen Demokratiebewegungen und Tyrannenstürze wie im arabischen Frühling erst möglich, aber sie können genauso die Grundfesten der Demokratie bedrohen.

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