Kommentar Streit um Singpflicht für DFB-Elf - Das sind Sorgen!

Die Fußball-Europameisterschaft ist beendet, die Diskussionen sind es noch lange nicht. Die Sportler haben ihren Urlaub angetreten, einige Politiker nutzen den freigewordenen Platz auf der Bühne für Staatstragendes.

Eine wichtige Erkenntnis zum EM-Abschluss lautet in etwa so: Die Italiener seien doch gar nicht besser als die Deutschen! Nein, wir hätten gewonnen, wenn alle DFB-Spieler vor der Partie inbrünstig die Nationalhymne gesungen hätten. Das dokumentiere nämlich Stolz, Patriotismus und Siegeswillen. Und überhaupt: So etwas dürfe nicht wieder vorkommen. Also wird für die Nationalspieler die Pflicht zum Mitsingen gefordert - von Hessens Ministerpräsident Bouffier, von Bayerns Innenminister Herrmann, vom CSU-Innenexperten Uhl, vom Kaiser Beckenbauer sowieso.

Beckenbauer, der als Kapitän der WM-Elf von 1974 die Hymne nicht gesungen hat, fordert bekanntlich alles, was populär sein könnte. Er darf das, weil er eben der Kaiser ist und als einer der wenigen Deutschen Narrenfreiheit genießt und quasi jeden Unsinn erzählen kann. Für manchen Hinterbänkler auf der Suche nach einer Schlagzeile mag das auch gelten, aber spätestens bei Ministern hört der Spaß auf.

Denn, und jetzt im Ernst, die Diskussion ist abwegig, sie ist abstrus. Seit Jahren gilt die DFB-Elf zu Recht als ein Beispiel für gelungene Integration. Die Özils, Boatengs, Khediras, Kloses und Podolskis und viele mehr im Team stehen für eine Generation, die in Deutschland angekommen ist. Die Mannschaft repräsentiert dieses Land einwandfrei. Sie steht spätestens seit dem Sommermärchen bei der WM 2006 für Offenheit und Toleranz, Spielfreude und Erfolg. Letzteres wird belegt durch zuletzt 15 Pflichtspielsiege in Folge - bis zum Italien-Spiel.

Natürlich kann man sich wünschen, dass alle Spieler die Hymne mitsingen. Aber man kann sie doch nicht zwingen! Soll man sie nach Hause schicken? Oder gar nicht erst aufstellen? Oder wird man nur Nationalspieler, wenn man sich vorab verpflichtet, die Hymne zu singen? Das ist grotesk.

Sicherlich, eine EM ist, ähnlich wie eine WM oder Olympische Spiele, mehr als ein Sportereignis. Die Gesellschaft spiegelt sich in den Tagen des Turniers, Millionen Menschen identifizieren sich mit ihrem Team, mit ihrer Hymne. Wenn das möglichst viele Akteure ebenso tun, dann ist das erfreulich. Menschen rücken enger zusammen in einer Gesellschaft, die zunehmend durch Individualisierung geprägt ist. Patriotismus als Katalysator.

Aber die Pflicht zum Mitsingen der Hymne kann nun wirklich niemand fordern, der in seinem Amt ernst genommen werden will. Die Absurdität des Vorgangs macht im Übrigen der Abgeordnete Juan Bernardo Ziett aus Paraguay deutlich. Auch er forderte für die Spieler Paraguays die Pflicht zum Mitsingen und schlug vor, jedem Verweigerer mit zwei Jahren Gefängnis zu drohen.

Die Spanier sangen vor dem Finale übrigens (wieder) nicht. Sie lauschten ihrem "Marcha Real", dem königlichen Marsch. Dieser hat schlicht keinen Text. Die Italiener hingegen sangen ihre Hymne mit dem martialischen Text des Dichters und Kriegshelden Mameli: "Lasst uns die Reihen schließen. Wir sind bereit zum Tod. Wir sind bereit zum Tod, Italien hat gerufen."

Es hat nicht geholfen. Und in Deutschland bleibt die Erkenntnis, dass wir offenbar keine anderen Sorgen haben.

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