Kommentar zur Deutschen Einheit Nicht zu kaufen

Meinung | Berlin · Seit der Wiedervereinigung fließen jährlich Milliarden Euro von West nach Ost. Doch Geld allein lässt Deutschland nicht zusammenwachsen.

 Impression aus Mainz: Die Quadriga am Rhein – ein Modell des Brandenburger Tors beim Bürgerfest.

Impression aus Mainz: Die Quadriga am Rhein – ein Modell des Brandenburger Tors beim Bürgerfest.

Foto: dpa

Das Unverständnis zwischen Ost und West war seit dem Mauerfall noch nie so groß wie heute. Eine Mehrheit in Westdeutschland reibt sich die Augen und fragt, was eigentlich mit den Ossis los ist, die bei der Bundestagswahl in vielen Landstrichen die AfD zur Mehrheitspartei erhoben haben. Seit der Wiedervereinigung fließen jährlich Milliarden Euro von West nach Ost. Doch Geld allein lässt Deutschland nicht zusammenwachsen. Die Einheit kann man nicht kaufen.

Die Wirtschaftsdaten sind im Osten immer noch deutlich schlechter als im Westen. So liegt die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern bei rund sieben Prozent, in den alten bei nur fünf Prozent. Die Löhne sind niedriger im Osten, und die Menschen haben weniger Vermögen und weniger zu vererben. Allerdings sind die Renten im Osten höher und die Lebenshaltungskosten niedriger.

Doch diese Mischkalkulation geht nicht auf, weil den Ostdeutschen die Zukunftsperspektive fehlt. Das Hier und Jetzt ist nicht so schlecht, aber die Zukunft erscheint düster. Junge, aufstrebende Menschen verlassen den Osten – insbesondere die Frauen. In den Dörfern bleiben die Alten zurück und jene, denen Ehrgeiz, Fähigkeit oder Fantasie fehlen, ihren Wohlstand zu mehren – insbesondere Männer.

Die Folgen dieser Abwärtsspirale: Aus den Dörfern verschwinden Ärzte, Apotheken, Einkaufsmöglichkeiten, Schulen, die Kneipe. Wo es früher eine intakte Dorfgemeinschaft gab, übernehmen vielfach rechtsradikale Gruppierungen die Organisation des Gemeinschaftslebens. Sie kommen als Wölfe im Schafspelz: mit bürgerlicher Attitüde und einem offenen Ohr für die sozial Abgehängten. Dass aus dieser Mischung Wut auf das Establishment und die in Berlin entsteht, überrascht nicht. Für den Osten ist der gärende Rechtsradikalismus eine schwere Hypothek. Einzelne große Firmen und Universitäten spielen mit dem Gedanken, Mitarbeiter abzuziehen. Für die weitere Entwicklung des Ostens als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort wäre dies fatal.

Große Mentalitätsunterschiede kann eine Nation aushalten. Die gibt es auch zwischen Bayern und Berlinern. Schwierig wird es, wenn – wie im Fall von Ost und West – die Debatte stets mit dem Vorwurf begleitet wird, diese seien arrogant, während jene die Demokratie nicht verstanden hätten.

Es ist traurig, dass die Unterschiede in Wirtschaftsleistung und in Mentalität zwischen Ost und West auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach der deutschen Wiedervereinigung noch so schwer wiegen. Dabei ist mittlerweile eine Generation herangewachsen, die mit den Begriffen Ossi und Wessi gar nichts mehr anfangen kann. Wahrscheinlich wird erst diese junge Generation die Einheit vollenden können, statt alte Vorurteile zu pflegen.

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