Kommentar Mutige Entscheidung

Jetzt steht er dumm da, der Kölner Karneval. Nach dem Anschlag in Paris die vollmundige Ankündigung, einen Wagen eigens zu diesem Thema auf die Rosenmontagsstrecke zu schicken. Beifall von vielen Seiten und dann der Rückzieher.

Ihm folgten die inzwischen üblichen höhnischen Beschimpfungen im Netz. Da ist von Feigheit die Rede und Selbstzensur, von Einknicken und Verrat. Die Islamfeinde sehen ein weiteres Indiz für den nahenden Untergang des Abendlandes, und so weiter. Doch Gemach! Es geht hier nicht um diese großen Fragen. Niemand stellt das Recht der Jecken in Frage, so einen Wagen auf die Straße zu schicken.

Wenn sie das nicht tun, dann stellen sich die Kölner Veranstalter mutig ihrer Verantwortung, die eindeutig schwerer wiegt als der Proteststurm von der heimeligen Computertastatur. Politiker zum Beispiel pflegen sich deutlich seltener in aller Öffentlichkeit zu korrigieren, wenn sie über das Ziel hinausgeschossen sind. Es wäre sicherlich leichter gewesen, als Helden der freien Meinungsäußerung den Karneval hinter sich zu bringen, als sich einer kritischen Bewertung des Risikos zu stellen. Motto: Augen zu und durch. Aber so einfach ist das eben nicht.

Der Kölner Straßenkarneval ist eine Veranstaltung, zu der Hunderttausende in die Stadt strömen. Das ist schon in normalen Zeiten für die Sicherheitskräfte eine Herausforderung. Doch normal sind die Zeiten ein paar Wochen nach den Anschlägen im Zentrum von Paris nicht. Viele Menschen haben seitdem schon im Alltag ein ungutes Gefühl, wenn sie sich zum Bahnhof oder Flughafen begeben. Bei empfindlicheren Menschen steigert sich das bis zur Angst, und die macht Menschenmengen unberechenbar. Spätestens seit dem Unglück auf der Love-Parade weiß jeder, dass eine Kleinigkeit eine Katastrophe auslösen kann. Dafür braucht es noch nicht einmal Drohung oder Gewalt.

Der Wagen, den der Kölner Karneval jetzt wieder aus dem Verkehr gezogen hat, löst bei vielen Menschen Unbehagen aus, selbst wenn sie die Idee dahinter befürworten. Wenn er durch eine dicht gedrängte Menschenmenge rollt, wird das zum Risiko. Es ist daher richtig, auf ihn zu verzichten. Wer sich gerne zur Presse- und Meinungsfreiheit bekennen will, wer das vielleicht auch provokativ tun möchte, soll und darf das und findet reichlich Betätigungsmöglichkeiten. Der Karneval ist dafür aber vermutlich nicht der richtige Ort.

Einen Vorwurf kann man den Kölnern indes nicht ersparen: Auf diesen Gedanken hätten sie leicht ein paar Tage früher kommen können. Aber im ersten Überschwang der Solidarisierungswelle mag das Nachdenken zu kurz gekommen sein. Es ist überdies auch unglücklich, eine solche Entscheidung ohne weitere Erklärung an die Öffentlichkeit zu geben. Das lädt zu Missverständnissen geradezu ein. Aber sei's drum. Hauptsache der Rosenmontag wird ein gutes Fest für alle.

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