Kommentar zur Weltklimakonferenz Ein weiches Papier

Ist die 21. UN-Klimakonferenz der Beginn oder das Ende einer langen Reise zum planetaren Klimaschutz? Eine Frage, die wie geschaffen ist, um die Antworten nach Optimisten und Pessimisten zu sortieren.

Jedenfalls hat die diplomatische Kunst in Paris mehr als das Erwartete aus einer heterogenen Klimawelt - Opfer, Täter, Profiteure - herausgekitzelt. Die einen wollen weiter klimaschädliche Bodenschätze verkaufen und sind wirtschaftliche Monolithen geblieben. Ob Venezuela oder Saudi-Arabien: Staatshaushalt, politische Stabilität - alles hängt vom Ölerlös ab. Die anderen versinken im Pazifik, obwohl sie nichts zum eigenen Untergang beigetragen haben.

Doch inzwischen haben Wetterextreme auch Täter und Profiteure zu Opfern werden lassen. In Sibirien taut eine im Dauerfrost verankerte Infrastruktur auf, und am Persischen Golf könnten ganze Regionen im Sommer - zu heiß - unbewohnbar werden, wenn auf dem Kompass weiter "Business as usual" steht. Dazu haben heftigere Stürme, Dürren und Fluten die Kompromissfähigkeit gesteigert und den Diplomaten die Arbeit etwas erleichtert. Trotzdem blieben inkompatible Welten, die nur über ein weiches Papier verbunden werden konnten.

So gründet sich der Jubel letztlich darauf, dass alle Staaten eine Absichtserklärung zur Rettung ihrer Lebensgrundlagen genehmigten. Und mit dem starken moralischen Impetus, Ernten und Bewohnbarkeit in anderen Ländern nicht zu gefährden. Nichts bleibt, wie es ist, wenn beim fossilen Wirtschaften alles bleibt, wie es ist. Ob diese Botschaft in den Parlamenten der Welt nun zu angemessenen Taten führt? Werden dort populäres Kurzfrist-Denken und gängige Wiederwahlmotive in langfristige Perspektiven münden und den Horizont bis zu ungeborenen Generationen weiten?

Möglicherweise provoziert Paris die Klimarettung aus einer unverhofften Ecke. Viel spricht dafür, dass Zivilgesellschaft und Kapital in seltener Einigkeit marschieren und der fossilen Maschinerie Milliarden entziehen. Die Umschichtung in den Portfolios hat längst begonnen. Der weltgrößte Versicherer Allianz, der norwegische Pensionsfonds, die deutsche Presseversorgung und viele mehr: Sie könnten Schrittmacher sein. In Zeiten, in denen per Knopfdruck aberwitzige Beträge um den Globus rasen und nach Renditen jagen, könnte die Macht der Investoren größer werden als die hartgesottener Lobbyisten, die zuweilen sogar Parlamente lenken.

So geht von Paris die vage Hoffnung aus, dass der vernunftbegabte Homo sapiens über den Tellerrand hinaus denkt. Wenn Paris dazu das Wecksignal war, könnte die Rettungsreise tatsächlich beginnen. Sie wird keine gemütliche Butterfahrt, sondern gerade in Demokratien ein Abenteuertrip. Auf Politiker wartet unpopuläre Überzeugungsarbeit beim Wähler, der sich gerade über 99 Cent für einen Liter Diesel freut. Diese Tankstellen-Nachricht passt zur Tellerrand-Perspektive, aber kaum zur Vision aus Paris. Auch dass der Vertrag erst 2020 in Kraft tritt, wirft lange Schatten. Denn 2020 war der späteste Zeitpunkt, ab dem die Weltemission radikal sinken muss, um das Zwei-Grad-Ziel noch zu erreichen.

Nun läuft die Zeit davon, während die globale Erwärmung unerbittlich fortschreitet. Die große Weiche steht auf Eisschmelze, Ozeananstieg, Ernteausfälle und - Klimaflüchtlinge. Sie sitzen weiter im Wartesaal des Völkerrechts. Keiner hat eine Antwort für sie, auch Paris nicht.

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