Kommentar zum Verhältnis zwischen Russland und dem Westen Ein neuer Vorhang

Meinung | Moskau · Die erzwungene Schließung mehrerer russischer Vertretungen in den USA hat die Spannungen zwischen Moskau und Washington verschärft.

 Vor dem russischen Konsulat in San Francisco.

Vor dem russischen Konsulat in San Francisco.

Foto: AP

Am 1. September mussten die Amerikaner ihr diplomatisches Personal in Russland um 755 Mitarbeiter verringern. Die Antwort des Kremls auf die neuen Sanktionen der USA gegen russische Banken und Rohstoffunternehmen. Das US-Außenministerium konterte diesen Schritt prompt und verordnete die Schließung des russischen Konsulats in San Francisco, außerdem zweier diplomatischer Außenstellen in Washington und New York. Außerdem erteilen die Amerikaner ab Freitag in Russland Tourismus- und Geschäftsvisen nur noch in der Moskauer Botschaft – es drohen enorme Wartezeiten.

In Moskau behauptet man, hinter den immer neuen amerikanischen Strafmaßnahmen stecke das „Establishment“ in Washington, dass Donald Trumps warme Wahlkampfworte für Russland abstrafen wolle. Keine ganz falsche Sicht der Dinge.

Aber tatsächlich gehen die Sanktionen tiefer. Auch die EU, selbst die neutrale Schweiz, halten sich eisern an jene Finanz- und Importeinschränkungen gegen Russland, mit denen der Westen im Juli 2014 auf die Annexion der Krim und die verdeckte Intervention in der Ukraine reagierte. Westliche Politiker betrachten sie bis heute als Erfolg.

Dabei ist umstritten, wie weh die Sanktionen Russlands Wirtschaft wirklich tun. Tatsächlich hat die russische Ökonomie ab 2014 wohl mehr unter abstürzenden Ölpreisen gelitten als unter dem Stopp der Kredite und des Technologietransfers für die russischen Banken und Konzerne. Aber seit über drei Jahren fließt kein westliches Geld oder Knowhow in die ehrgeizigen polaren Fördervorhaben von Rosneft oder Gasprom. Die Projekte klemmen, auch wenn der Ölpreis sich erholt. Während sich ausländische Konkurrenzprojekte wie etwa das US-Fracking weiterentwickeln. Russlands Kernbrache stagniert.

Europäische Diplomaten beschwören die Sanktionen längst auch als Idee, die die EU zusammenhält: Sobald der erste Mitgliedsstaat ausschert und mit Russland Geschäfte wie üblich macht, gerät die Gemeinschaft zur Lachnummer. Das Bekenntnis zu den Sanktionen ist zur europäischen Gebetsformel geworden: Wir können sie erst aufheben, wenn Russland die Kontrolle über das Donbass wieder der Ukraine überlässt.

Eine Logik, simpel wie die Logik des Kalten Krieges: Deutschland bleibt geteilt, solange die Mauer steht. Die Sanktionen sind ideologische Institution geworden, ein neuer, virtueller „Eiserner Vorhang“. Auch für die Gegenseite. Moskaus Öffentlichkeit schwärmt, wie sehr das russische Konterembargo gegen westliche Lebensmittelexporte die vaterländische Landwirtschaft angekurbelt hat. Putins Russland wird das Donbass nicht hergeben, der Westen seine Sanktionen verlängern. Eine Feindschaft auf stabilen Niveau. Vielleicht endet sie erst, wenn einer der Blöcke zusammenbricht – wie damals, im Kalten Krieg.

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