Kommentar Die politische Kultur in der Türkei - Keine Kompromisse
Der politischen Kultur der Türkei fehlt Verständigungsbereitschaft und die Fähigkeit, die Interessen der jeweils anderen Seite als legitim anzuerkennen. Statt Empathie zählt allein die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen. Kompromisse gelten als Zeichen der Schwäche.
Auch im Streit um den Gezi-Park war das so. Die Regierung war nicht bereit, die Proteste der vergangenen Wochen als Ausdruck einer verbreiteten Unzufriedenheit mit Erdogans Politik zu respektieren und die Situation zu entschärfen: Erdogan gab den Demonstranten 24 Stunden Zeit, den Park zu räumen - doch schon wenige Stunden später rückte die Polizei in den Park vor.
Auf der anderen Seite schaffte es die Protestbewegung nicht, Erdogans Angebot eines vorläufigen Verzichts auf das umstrittene Bauprojekt in dem Park als Kompromiss anzunehmen und die Dynamik der Proteste auf neue Ziele auszurichten: Die Demonstranten wollten Erdogan stürzen, aber zumindest demütigen. Nach der Schlacht vom Taksim stehen sich beide Lager unversöhnlicher denn je gegenüber.
Nur einen Hoffnungsschimmer gibt es: Eine neue Umfrage zeigt, dass Erdogans Popularität sinkt und dass seine Partei AKP an Wählerstimmen verliert. Wenn sich das bestätigt, dann könnte der Trend den Ministerpräsidenten zum Umdenken bewegen. Denn bei aller Schärfe und Unversöhnlichkeit, die Erdogan an den Tag legt, sollte man eines nicht vergessen: Da es Erdogan vor allem auf Wählerstimmen ankommt, haben die Wähler mehr Einfluss auf ihn als Berater, die Opposition oder gar das Ausland.