Kommentar Die Grünen nach der Wahl - Mut und Mitte

Berlin · Sie sind nicht gesprungen. Sie haben sich nicht getraut. Den Grünen wäre, wenn sie nur gewollt hätten, der Weg in eine erste schwarz-grüne Bundesregierung offen gestanden.

Die Unionsparteien waren interessiert. Nicht aus übergroßer Zuneigung zu den Grünen und deren Parteivolk. Nein, die Grünen wären wegen ihres schlechten Wahlergebnisses schlicht der billigere Partner gewesen. Und zweitens hätte sich die Union mit diesem bundesweiten Aufschlag für Schwarz-Grün aus der strategischen Einengung befreien können. Doch den Grünen fehlte dazu noch der Mut.

Jetzt bleiben sie - es sei denn, Union und SPD finden doch nicht zueinander - mit allergrößter Wahrscheinlichkeit das, was sie sind: Opposition. Sie versichern vorsorglich, sie wollten diese Rolle konstruktiv spielen. Das Risiko, in den Fängen eines übermächtigen Wahlsiegers erdrückt zu werden, war ihnen zu groß.

Richtig ist: Ihr Führungspersonal ist neu und unerfahren. Die Novizen in Partei- und Fraktionsspitze brauchen Zeit. Es gibt aktuell keine überragende Führungsfigur wie Joschka Fischer eine war. Jemand, der einen Grünen-Sonderparteitag zur Euro-Krise oder einem nächsten Kriegseinsatz der Bundeswehr im Sinne der Regierenden steuern könnte. Das wäre auch ein Risiko für die Bundeskanzlerin, wenn sie Schwarz-Grün gewagt hätte. Denn die Grünen-Basis liebt Sonderparteitage mit ihrer ganzen Unberechenbarkeit. Außerdem hätten sich Union und Grüne fragen müssen, wie sie wegen ihrer fehlenden Gestaltungsmehrheit im Bundesrat mit der Macht der SPD-Länder hätten umgehen wollen. Doch diese Frage stellt sich vorläufig nicht.

Die Grünen suchen mit dem Parteitag dieses Wochenendes ihre Neuaufstellung, ohne sich dafür gleich neu erfinden zu wollen. Das müssen sie auch nicht. Denn die Energiewende, eines ihrer Kernthemen, bleibt eine zentrale Herausforderung der nahen und mittleren Zukunft. Und die Massentierhaltung wird unter Garantie einen nächsten Lebensmittelskandal produzieren, der die Frage nach sauberem Essen wieder nach oben auf die Tagesordnung bringen wird.

So wollen sich die Grünen als Partei der linken Mitte positionieren. So weit links, dass eines Tages auch ein rot-grün-rotes Bündnis im Bund möglich ist. Und so weit Mitte, dass die jetzt geschaffene Option einer Koalition mit CDU und CSU ebenfalls in Reichweite bleibt. Sie nennen das grüne Eigenständigkeit. Dabei könnten die Grünen zum Scharnier im deutschen Parteienspektrum jenseits alter Lagergrenzen werden.

Das ist nicht die schlechteste Perspektive nach einer derart krachenden Wahlniederlage. Und es bestätigt die Erkenntnis, dass es von unten meist nur eine Richtung gibt. Nach oben. In die Regierung. Dorthin müssen die Grünen wollen. Denn sie haben Recht: Auch Opposition ist kein Selbstzweck.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Helge Matthiesen
zu den weltweiten Militärausgaben
Eine andere Welt
Kommentar zu den weltweiten MilitärausgabenEine andere Welt
Zum Thema
Nur Warten reicht nicht
Kommentar zur Frühjahrsprognose Nur Warten reicht nicht
Falsche Zeichen
Kommentar zum Treffen von Steinmeier mit Erdogan Falsche Zeichen
Bekenntnis zur Truppe
Kommentar zum Veteranentag Bekenntnis zur Truppe
Aus dem Ressort