Bundeskanzlerin Angela Merkel - Neue Deutlichkeit

BERLIN · Der Ruf haftet ihr an wie Kaugummi. Angela Merkel - die Teflon-Kanzlerin, an der alles abgleitet, die sich nie festlegt, gern alles offen lässt. Aussitzen, Ausweichen, die Dinge im Ungefähren halten.

Das, so die weithin ausgemachte Meinung, ist ihr Regierungsstil. Dieses Taktieren war bisher ein teilweise sehr bewusst eingesetztes Mittel der Machtausübung. Während politische Mitstreiter strauchelten, blieb Merkel davon verschont.

Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass es das Schicksal der Kanzler ist, mit innenpolitischen Konzepten und Visionen zu starten, um schon bald von außenpolitischen Anforderungen so in Anspruch genommen zu werden, dass für den politischen Nahkampf kaum noch Zeit bleibt. Das ging Willy Brandt nicht anders als später Helmut Kohl. Merkel hat die gleiche Erfahrung gemacht.

Seit einiger Zeit nun legt die Bundeskanzlerin eine neue und mitunter ziemlich verblüffende Unzweideutigkeit an den Tag.

Das hatte sich zuerst auf dem

Feld der Außenpolitik gezeigt. Erstaunlich genug, denn gerade auf diesem Terrain ist die Kunst, diplomatisch im Vagen zu bleiben, manchmal eine echte Tugend. Aber Merkel hat mit Wladimir Putin die Geduld verloren und das mehrfach öffentlich zum Ausdruck gebracht. Das hat ihr vor allem in Washington und London enorm viel Zuspruch eingebracht, mag aber auch Putin selbst nicht unbeeindruckt gelassen haben.

Allerdings hat Merkel auch innenpolitisch zu einer neuen Deutlichkeit gefunden. Sie erstickte eine längst aufgekommene Debatte mit dem Hinweis, dass sie nicht bereit sei, auf den Solidaritätszuschlag zu verzichten. Sie blockte Vorstöße auch aus der eigenen Partei ab, die einem Zuwanderungsgesetz das Wort reden.

Jüngst hat sie Justizminister Heiko Maas düpiert, als sie mitteilte, Deutschland werde eine EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzen, und die EU solle sie "zügig" vorlegen. Maas dagegen hatte nach den Pariser Anschlägen vor "Aktionismus" gewarnt. Zum ganzen Bild gehört aber auch die eindeutige Art, wie sich Merkel unmissverständlich von der Pegida-Bewegung absetzte. Dazu hatte sie sogar die sonst eher besinnliche Weihnachtsansprache genutzt.

Diese neue Merkel-Klarheit speist sich aus zwei Einsichten: In einer großen Koalition verwischen Verantwortlichkeiten, verkümmert die Debatte und scheint alles von einem trostlos breiten Konsens erstickt. Das macht Politik uninteressant. Merkel hat offenbar erkannt, dass sie dem entgegen wirken muss, indem sie endlich Konturen zeigt. Und letztlich ist das alles natürlich auch eine Reaktion auf Pegida. Die Demonstranten locken Merkel aus der Defensive, weil die Kanzlerin in deren Forderungen eine Gefahr erkennt, aber wohl auch - jenseits aller konkreten Forderungen - ein Bedürfnis nach stärkerer politischer Führung.

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