GA-Volontärin Ariane Fries in Berlin Die Mauerkreuze sind wieder da

Bonn/Berlin · Raus aus Bonn und ab nach Berlin! GA-Volontärin Ariane Fries schnuppert eine Woche lang Hauptstadt-Luft und berichtet für den General-Anzeiger aus dem Korrespondentenbüro an der Spree. Täglich ging sie an den fehlenden Mauerkreuzen vorbei und verfolgte die Diskussion darüber.

 Dort wo die weißen Kreuze montiert waren, füllte Papier die Lücke kurzzeitig aus.

Dort wo die weißen Kreuze montiert waren, füllte Papier die Lücke kurzzeitig aus.

Foto: Ariane Fries

Unzählige Male bin ich an den Mauerkreuzen vorbei gegangen. Beziehungsweise an dem Rest davon und habe die Veränderungen fotografiert. Zuerst nur, dass die Kreuze fehlen. Dann, dass die Löcher teilweise mit Papier ausgekleidet wurden, um zu zeigen, dass da etwas war. Ein anderes Mal hing neben dem Denkmal ein Transparent. Nun sind sie wieder da. Die sieben Mauerkreuze an der Spree. Sie erinnern an die Todesopfer der Berliner Mauer.

Aktivisten des Zentrums für politische Schönheit hatten alle 14 Mauerkreuze in Berlin entwendet, um auf die Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen aufmerksam zu machen. "Während ganz Deutschland sich darauf einstellt, dem Fall der deutschen Mauer vor 25 Jahren zu gedenken, stehen neue Mauern um Europa, an denen mindestens 30.0000 Menschen gekentert sind", erklärte die Gruppe ihre Tat auf ihrer Internetseite.

Schon die ganze Woche wurde der Diebstahl immer wieder in Berliner Talkrunden, Debatten und anderen Veranstaltungen thematisiert. Der Präsident des Deutschen Bundestags, Norbert Lammert, kritisierte die Tat am Freitag in der Gedenkstunde zum Mauerfall heftig: Das sei Pseudohumanität und blanker Zynismus. „Wir werden selbstverständlich diese Kreuze ersetzen und sie werden dort bleiben“, versicherte er. Eines haben die Aktivisten also mit Sicherheit erreicht: Aufmerksamkeit.

Aber die Aktion entwickelt sich zu einem Politikum. Seit Montag streiten Innensenator Frank Henkel (CDU), Maxim-Gorki-Theater-Intendantin Shermin Langhoff und die Parlamentarier über die Aktion. Hintergrund ist, dass das Festival „Voicing Resistance“ des Theaters mit 100.000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds gefördert wurde. Auf dem Programm steht auch eine Aktion des Zentrums für politische Schönheit. Titel: „Erster europäischer Mauerfall – die Verwundeten“. [kein Linktext vorhanden]

Dafür sollen die Kunst- und Politikaktivisten 10.000 Euro erhalten haben. Für Henkel ein Beleg dafür, dass das Theater zumindest eine Mittäterschaft an dem Diebstahl zugesprochen werden kann: „Besonders bitter ist, dass diese Komplizenschaft offenbar mit Steuergeldern gefördert worden ist.“ Darüber hinaus bezeichnete er die Tat als verabscheuungswürdig.

Nach Angaben des Sprechers der Senatskulturverwaltung, Günter Kolodziej, hat die Leitung des Gorki-Theaters versichert, von den Details der Aktion vorher nichts gewusst zu haben. Im Förderantrag sei nur die Rede von einer Aktion gewesen, die „den Mauerfall hinterfragen und auf neue Mauern Europas aufmerksam machen“ wolle.

In einer gemeinsamen Pressemitteilung der Intendantin Shermin Langhoff, des Co-Intendanten und leitenden Dramaturg Jens Hillje sowie des geschäftsführenden Direktors Jürgen Maier heißt es hingegen: „Das Künstlerkollektiv Zentrum für politische Schönheit ist zur Eröffnung des Festivals „Voicing Resistance“ vom Maxim Gorki Theater zu einer Kunstaktion eingeladen worden. Das Künstlerkollektiv hat die Performance „Europäischer Mauerfall“ konzipiert und durchgeführt.

Die Kunstaktion bestand im Wesentlichen darin, dass Busse an die europäischen Außengrenzen fahren.“ Sie haben weder die Entwendung der Kreuze an der Spree veranlasst, noch von diesem Plan gewusst. Bei den Angehörigen der Mauertoten entschuldigten sich die Verantwortlichen. SPD und Grüne verlangen indes von Henkel eine öffentliche Entschuldigung.

Am Dienstagabend teilte das Zentrum für politische Schönheit auf Facebook mit, dass sie einen Strafantrag gegen Henkel gestellt haben, verbunden mit einer Unterlassungsaufforderung. Konkret stören sich die Aktivisten daran, dass Henkel die Tat als Diebstahl bezeichnet hatte.

„Wir fordern den Innensenator Frank Henkel auf, jede staatspolitische und strafrechtliche Verfolgung sofort einzustellen, denn die temporäre Entfernung symbolischer Kreuze ist keine Grabschändung, die Aktion war keine Verunglimpfung unseres Staates und vor allem: Kunst ist frei und grundgesetzlich geschützt“, hatte die Gruppe einige Stunden zuvor mitgeteilt.

Unabhängig von der politischen Diskussion stellen sich also auch ethische Fragen: Dürfen Denkmäler, die auch den Angehörigen der Getöteten als Erinnerung und Würdigung der Mauertoten dienen, benutzt werden, um in einer so genannten Kunstaktion auf anderes Leid aufmerksam zu machen? Dürfen Zahlen Toter gegeneinander aufgerechnet werden? Und: Darf das Grundrecht „Kunstfreiheit“ überhaupt so ausgelegt werden?

Leider habe ich nicht mehr gesehen, dass die Kreuze wieder da sind. Ich habe nur gelesen, dass sie nach der Feier zum Festakt wieder aufgehangen wurden. So, wie es wohl angekündigt war. Polizisten sollen drei Männer und eine Frau dabei beobachtet und anschließend ihre Personalien aufgenommen haben. Justiz und Polizei ermitteln, denn Angehörige von Maueropfern sollen Anzeige erstattet haben. Das war nicht das Ende der Diskussion. Sie kommt gerade erst in Fahrt. Aber sie dreht sich nicht um die Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen. Insofern hat die Aktion ihr Ziel verfehlt.

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