Volker Wiedeck: "Die Stiftung ist für mich das Gegengift"

Am 29. August vor drei Jahren kam Hannah nicht mehr nach Hause. Das 14-jährige Mädchen aus Oberdollendorf wurde unweit seines Elternhauses an der Kantstraße ermordet. Zurück blieben ihre Eltern und ihre beiden älteren Schwestern. Jedes Familienmitglied ging einen anderen Weg, um sich mit dem schrecklichen Einschnitt auseinanderzusetzen. Hannahs Vater Volker Wiedeck gründete nur wenige Monate später die Hannah-Stiftung gegen sexuelle Gewalt.

 Volker Wiedeck am Wegekreuz an der Cäsariusstraße, der Gedenkstätte für seine ermordete Tochter Hannah.

Volker Wiedeck am Wegekreuz an der Cäsariusstraße, der Gedenkstätte für seine ermordete Tochter Hannah.

Foto: Frank Homann

Königswinter. Am 29. August vor drei Jahren kam Hannah nicht mehr nach Hause. Das 14-jährige Mädchen aus Oberdollendorf wurde unweit seines Elternhauses an der Kantstraße ermordet. Zurück blieben ihre Eltern und ihre beiden älteren Schwestern. Jedes Familienmitglied ging einen anderen Weg, um sich mit dem schrecklichen Einschnitt auseinanderzusetzen. Hannahs Vater Volker Wiedeck gründete nur wenige Monate später die Hannah-Stiftung gegen sexuelle Gewalt. Mit ihm sprach Hansjürgen Melzer.

General-Anzeiger: Wie entwickelt sich die Stiftung?

Volker Wiedeck: Sehr positiv. Wir werden in diesem Jahr zum dritten Mal in den Genuss der Spenden beim Golfturnier der Colonia Real Estate in Köln kommen. Bisher haben wir von dort eine projektbezogene Unterstützung in Höhe von 81 000 Euro erhalten, mit der das Pilotprojekt "Kinder stärken - Fachkräfte schulen - Synergieeffekte nutzen" an der Dransdorfer Kettelerschule und später auch an zwei Förderschulen nach einem Konzept der Bonner Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt finanziert wurde. Die Ergebnisse der Auswertung sind sehr positiv: Kinder können sich angstfrei mit dem Thema beschäftigen.

GA: Wird das Projekt fortgesetzt?

Wiedeck: Ja. Es wird demnächst zusätzlich von der Kreissparkasse Köln und der Volksbank Bonn/Rhein-Sieg unterstützt und soll ausgeweitet werden. Schulen aus Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis können sich entweder bei der Beratungsstelle oder bei der Stiftung bewerben.

GA: Wie groß ist inzwischen das Stiftungskapital?

Wiedeck: 210 000 Euro, in denen die genannte projektbezogene Spende nicht enthalten ist. In Kürze erwarten wir eine weitere Zustiftung in Höhe von 50 000 Euro. Das gibt uns etwas Luft, auch spontan auf Dinge zu reagieren. Im vergangenen Jahr haben wir insgesamt 30 000 Euro für Projekte ausgegeben. Das ermöglicht unser Förderverein, da die Ausschüttungen der Stiftung naturgemäß noch nicht allzu üppig ausfallen.

GA: Wie bekannt ist die Stiftung mittlerweile?

Wiedeck: Im Umkreis ist der Bekanntheitsgrad hoch und die Unterstützung ungebrochen. Im September wird es an Hannahs Schule, dem CJD, eine Veranstaltung mit Alice Schwarzer, der Schirmherrin unserer Stiftung, geben.

GA: Am ersten Jahrestag gab es einen Motorradkorso mit über 2 500 Teilnehmern von Bonn nach Königswinter. In diesem Jahr wurde eine Biker-Demo-Sternfahrt nach Hemer durchgeführt. Zurzeit findet ein Motorradtreffen im Hotel Maritim statt, dessen Erlös an die Hannah-Stiftung fließen wird. Das alles, weil Sie selbst passionierter Motorradfahrer sind?

Wiedeck: Das sicher auch. Aber Motorräder machen Krach und erlangen Aufmerksamkeit. Ich möchte diese Aufmerksamkeit für dieses Thema haben. Es ist gut, wenn möglichst viele davon erfahren. Da reicht es nicht, sich mit einem Stand in die Fußgängerzone zu stellen.

GA: Anfang Juli haben Sie und Ihre Tochter Linda ein Interview im "Stern" gegeben. Wie kam es, dass sich Ihre Tochter erstmals zum Tod ihrer Schwester und dem, was dieser mit ihrer Familie gemacht hat, äußerte?

Wiedeck: Die Absicht war es, einmal zu zeigen, was mit den Kindern in einer solchen Situation passiert. Linda war dazu bereit, als die Anfrage kam. Sie wollte aber, dass ich mitkomme.

GA: Ihre Tochter beschwert sich, dass Sie als Vater wegen Ihrer Arbeit für die Stiftung nicht mehr für Ihre beiden lebenden Töchter da sein würden. Trifft Sie das?

Wiedeck: Natürlich habe ich zeitweise nicht wie gewohnt funktioniert. Und die Mädels haben von Anfang an den Mund aufgemacht und mir ihren Unmut mitgeteilt. So haben wir sie ja ausdrücklich auch erzogen. Aber still da sitzen, nichts zu tun und handlungsunfähig zu sein, ist für mich die Horrorvorstellung, der GAU schlechthin. Das würde mich auffressen. Meine Idee war ja, dass aus dem Sinnlosen etwas Positives erwachsen muss. Die Stiftung ist für mich das Gegengift. Alles andere wäre unerträglich, weil das Loch, das Hannahs Tod gerissen hat, ja nicht kleiner wird.

GA: Wie schwierig ist es, die unterschiedlichen Formen der Trauer innerhalb der eigenen Familie auszuhalten?

Wiedeck: Wenn man als Familie zusammenlebt, muss man das akzeptieren. Wichtig ist der Respekt, die gegenseitige Wertschätzung. Hannahs Tod hat unsere Welt total auf den Kopf gestellt. Er hatte eine unheimliche Zerstörungskraft, wie eine Bombe. Bis man alles wieder eingesammelt hat, ist es ein sehr weiter und schwieriger Weg.

GA: Ihre Tochter sagt im Interview, wenn sie demnächst von zu Hause ausziehen würde, würden ihre Eltern das Haus wohl verlassen und wegziehen. Können Sie das?

Wiedeck: Linda studiert in Köln Sozialpädagogik. Wenn sie weggeht, brauchen wir eigentlich den Platz nicht mehr. Wenn die Zeit reif ist, werden wir ausziehen. Aber noch hängen wir zu sehr an dem Haus und den Räumen. Da steckt überall Hannah drin.

GA: Wie würden Sie die Erfahrungen, die Sie bei Ihrer Arbeit für die Stiftung gemacht haben, beschreiben?

Wiedeck: Ich erfahre, dass es schon noch Menschen gibt, die Mensch geblieben sind. Das merkt man immer wieder. Es sind zum Teil beruflich sehr erfolgreiche Personen, die keinen Wind um ihre Unterstützung machen. Das läuft ganz im Stillen, aus echter Überzeugung ab. Vor allem aber gibt es viele Menschen aus der Bevölkerung, die uns mit ihren Projekten unterstützen.

Zur PersonVolker Wiedeck gründete im Jahr 2008, ein halbes Jahr nach der Ermordung seiner Tochter, die Hannah-Stiftung gegen sexuelle Gewalt. Der 50-Jährige wohnt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Oberdollendorf und arbeitet als Sozialpädagoge in Beuel mit geistig Behinderten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort