Vierter Missbrauchsfall in Rheinbach

Die öffentliche Diskussion über die Missbrauchsfälle in katholischen Internaten beschäftigt auch die Pfarrgemeinden in der Region.

Rhein-Sieg-Kreis. Die öffentliche Diskussion über die Missbrauchsfälle in katholischen Internaten beschäftigt auch die Pfarrgemeinden in der Region. Nach unserer Berichterstattung über drei Missbrauchsfälle in den Jahren 1961 und 62 im Rheinbacher Pallottiner-Internat "Konvikt Sankt Albert" haben uns zahlreiche Reaktionen erreicht.

Unter anderem E-Mails von Zeitzeugen. Immer wieder war davon die Rede, dass die Straftaten damals unter den Schülern ein offenes Geheimnis waren. Auch der vom Pallottiner-Orden für die Aufklärung der Fälle eingesetzte Pater Norbert Possmann hat viele Reaktionen erhalten. "Zwölf Rückmeldungen können wir konkret nachgehen", sagte er am Freitag dem General-Anzeiger.

Konkret sei ein weiterer Fall des sexuellen Missbrauchs im Rheinbacher Konvikt offenbart worden. Auch hier gelte der Pater als Täter, der bereits für die drei anderen Fälle verantwortlich und der 1962 suspendiert worden war. Außerdem meldeten sich jetzt Angehörige eines ehemaligen Internatsschülers, der bis heute psychisch behandelt wird. Jetzt steht zu klären, welche Ursache das hat. "Wir haben nun die Aufgabe, den Opfern zu begegnen und ihnen zu zeigen, dass es uns Leid tut und nach Möglichkeit zu helfen", so Possmann.

Als "sehr aufgeheizt" empfindet der Meckenheimer Pfarrverweser Reinhold Malcherek die Diskussion. "Im Moment ist es schwierig, eine differenzierte Sicht auf die Dinge zu behalten", sagte er am Freitag. Im Pfarrgemeinderat habe man besprochen, wie seelsorgerisch vorzugehen ist, wenn in der eigenen Zuständigkeit Missbrauchsfälle bekannt würden. "Das Thema beschäftigt die Leute schon", so Malcherek.

Allerdings sei die Zahl der Missbrauchsfälle durch Priester nicht signifikant höher, als die durch weltliche Erzieher, insofern habe dies nichts mit dem Zölibat zu tun. Dieser Auffassung ist auch Karl-Heinz Löhr, Vorsitzender des Kreiskatholikenrates, der Laienvertretung der Katholiken. "Das ist kein katholisches Problem, dennoch ist es beschämend, wenn Missbrauch an Einrichtungen der katholischen Kirche stattgefunden haben."

Kreisdechant Anno Burghof aus Bornheim nannte die jetzt bekannt gewordenen Missbrauchsfälle ein "himmelschreiendes Unrecht", das nochmal schlimmer sei, wenn der Täter ein Vertreter der Kirche ist. Es sei traurig, dass viele Fälle in der Vergangenheit vertuscht wurden. Die Bischöfe würden alles tun, um den Opfern gerecht zu werden und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. "Die Täter können nicht im Dienst bleiben", so Burghof.

Dass dies früher anders gehandhabt worden sei, dahinter vermutete Burghof Unwissenheit über das Gewicht der Vergehen. In Bornheim sei es um das Thema bisher "relativ ruhig". Einige seien aber sauer, dass das Thema so "hochgekocht" werde , schließlich handle es sich nicht nur um ein kirchliches, sondern um ein gesamtgesellschaftliches Problem. "Ich werde jetzt in der Predigt etwas sagen müssen", kündigte Burghof an.

Auch sei ein Austausch unter den Seelsorgern zu dem Thema geplant. Wolfgang Hages, Pfarrer in Bornheim, schloss sich der Meinung an, dass nichts unter den Tisch gekehrt werden dürfe. Einige instrumentalisierten das Thema aber für ihre allgemeine Kritik an der Kirche, "die wollen jetzt ihr Mütchen kühlen".

Die Zahl der Kirchenaustritte habe sich in den letzten drei Wochen deutlich erhöht: Statt einer Handvoll wie sonst um diese Jahreszeit registrierte Hages bis jetzt schon 18 Austritte. Die Zahlen des Amtsgerichts Bonn relativierten diese Beobachtung. In der ersten Märzhälfte traten zwar 104 Menschen aus der evangelischen oder katholischen Kirche aus, während es im ganzen Vormonat 123 waren.

In den Wintermonaten liegt diese Zahl laut Gerichtssprecher Joachim Klages immer höher als im Sommer, und im Vorjahres-März traten 170 Menschen aus. Für den Amtsgerichtsbezirk Rheinbach, Meckenheim, Swisttal lag die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche im Februar bei sieben und in der ersten Märzhälfte bei 14. Monatlicher Durchschnittswert im vergangenen Jahr war elf.

"Erstmal Ruhe bewahren und alles im Blick behalten wie in jeder Krisensituation" - darauf setzt Irene Urff (54). Die Delegierte von Sankt Matthäus Alfter im neuen Pfarrgemeinderat und Vorsitzende des Pfarrausschusses ist bisher "von niemandem" auf die Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen angesprochen worden. "Ich habe das Gefühl, das läuft weiter wie bisher."

Wichtig findet es Urff, die selbst eine katholische Mädchenschule besucht hat sowie Physik und Mathematik an der Herseler Ursulinenschule unterrichtet, die Fälle aufzuklären. "Das kann ich nur unterstützen." Allerdings ist sie auch der Ansicht, das Thema "nicht zu sehr zu schüren". "Bei uns ist das kein Thema, was aber auch daran liegt, das unsere letzte Versammlung im Januar war", sagt Markus Wienke, Vorsitzender der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) Oedekoven.

Zudem sei das Ganze so präsent, dass Kinder und Jugendliche darüber in ihren Familien sprechen würden, aber nicht zusätzlich in ihrer Freizeit. "In unserer Gemeinde sind wir davon nicht tangiert. Ich kenne auch keinen, der auf dem Ako ist". Seine Meinung hat sich der 19-jährige Gymnasiast aus den Medien zusammengestellt. Ob es Sinn macht, das Zölibat abzuschaffen, darüber ist er "uneins". Schließlich sei nicht klar, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Zölibat und sexuellem Missbrauch gibt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort