Tod hinter Gittern stellt Strafvollzug auf Prüfstand

Überbelegung, Personalmangel, Gewalt: Nach langem Wegschauen erkennt die Politik, dass sich in Jugendhaftanstalten vieles ändern muss

Siegburg/Bonn. Am Ende eines langen und gründlich geführten Strafprozesses hat der Vater des von seinen drei Zellengenossen im Siegburger Gefängnis ermordeten Häftlings nur einen Wunsch: "Hermann soll nicht umsonst gestorben sein."

Und meint damit: Wenn sich nach dem Foltermord unter staatlicher Obhut im Strafvollzug grundlegend etwas ändern würde, dann hätte der Tod des 20-jährigen Hermann H., so grausam das auch klingen mag, wenigstens einen Sinn gehabt. Tatsächlich hat diese bislang in einem bundesdeutschen Gefängnis einmalige Tat die Politiker alarmiert und den gesamten Strafvollzug, vor allem für jugendliche Delinquenten, auf den Prüfstand gestellt.

Nachdem der in Krisenfällen übliche Ruf der Opposition nach dem Rücktritt von NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU), die nach kurzer Amtszeit nur serviert bekam, was andere im Verlauf vieler Jahre zuvor angerichtet hatten, leiser geworden war, begannen die Politiker mit der Ursachenforschung. Der Landtag setzte einen Untersuchungsausschuss ein, der seitdem die Hintergründe dieses Foltermordes prüft.

Und eine Expertenkommission wurde beauftragt, sich alle Justizvollzugsanstalten des Landes vorzunehmen, über die Zustände Bericht zu erstatten und Verbesserungsvorschläge zu machen. Ihr Bericht enthüllt, in welchem Ausmaß die Politik den Strafvollzug - hier mehr, dort weniger - zu einem vernachlässigten und zunehmend verwahrlosten Stiefkind hat verkommen lassen. Vorneweg das nur noch formal als Jugendhaftanstalt geführte Siegburger Gefängnis.

Überbelegung - ein völlig normaler Zustand. Personalmangel - an der Tagesordnung. Schlecht bezahlte, überfordete und ungenügend ausgebildete Bedienstete - nicht der Rede wert. Sich selbst überlassene junge Häftlinge mit kaum Förderung und Forderung - Alltag. Gewalt und Bandenbildung - ausgeprägter und unkontrollierbarer als außerhalb der Gefängnismauern.

Ausbildungs-, Arbeits- und Freizeitangebote - Mangelware. Das alles soll sich nun ändern. Erste Schritte wurden bereits unternommen, Maßnahmen veranlasst: Die Justizministerin hat ein neues Gesetz zum Jugendstrafvollzug vorgelegt, das Anfang des nächsten Jahres in Kraft treten soll. Es sieht unter anderem vor: das Recht auf Einzelunterbringung, großzügigere Besuchsregelungen, ein breiteres Sportangebot.

Erstmals wurde ein Ombudsmann mit vier Mitarbeitern für die Strafgefangenen eingesetzt, der Anfang September nach vier Monaten seit Amtsantritt bereits mehrere hundert Beschwerden gesammelt hatte. Eine neue Jugendhaftanstalt wird gebaut und soll die Belegungssituation verbessern. Außerdem versprach die Justizministerin, die wichtige Aus- und Fortbildung der Bediensteten und deren Motivation in der Vordergrund zu rücken.

Sollten sich die Bedingungen im Strafvollzug entscheidend verbessern, käme das auch den drei jungen Männern zugute, die nach dem Urteil des Bonner Jugendschwurgerichts nun für lange Zeit hinter Gittern leben müssen. Ob ein geänderter Strafvollzug sie (re)sozialisieren konnte, wird sich erst zeigen, wenn der Tod von Hermann H. schon lange zurückliegt.

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