Staatsanwaltschaft macht Razzia im Gefängnis

Bedienstete kritisieren massiv den Führungsstil des Leitungsduos in der JVA Siegburg - Auf Interimsleiter Michael Thewalt wartet eine schwierige Aufgabe

Siegburg. Nach dem Foltermord an einem 20-jährigen Gefangenen durch seine drei Zellengenossen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg ( der GA berichtete), rücken die Verhältnisse und Strukturen innerhalb der Anstalt zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses.

So ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft nicht nur im Mordfall selbst mit Hochdruck weiter, sondern geht auch gleichzeitig der Frage nach der Verantwortlichkeit innerhalb der JVA nach.

Und sie führte am Montag eine Razzia im Gefängnis auf dem Brückberg durch: Acht Ermittler sicherten umfangreiches Datenmaterial aus dem Computer, um herauszufinden, wer Fotos und Informationen aus den Akten der drei Mordverdächtigen an die Boulvardpresse - möglicherweise gegen Geld - weitergegeben hat. Gleichzeitig mehren sich die anonymen Hilferufe, die allem Anschein nach von in der JVA Beschäftigten beim General-Anzeiger eingehen.

Zwar ist keiner der bisher eingegangenen vier Briefe namentlich gekennzeichnet, aber alle Schreiber offenbaren so offensichtlich Insiderwissen, das sie nur im Dienst innerhalb der Gefängnismauern erworben haben können.

In allen Briefen werden nicht nur gegen den mittlerweile von der NRW-Justizministerin versetzten JVA-Leiter, Wolfgang Neufeind, Vorwürfe erhoben, sondern auch und vor allem dessen nach wie vor amtierender Vize Walter Neufeld wird als einer der Hauptverantwortlichen für die Missstände in der JVA bezeichnet.

So schreibt einer, der sich als ein Siegburger Justizvollzugsbediensteter zu erkennen gibt, der aus Angst vor Konsequenzen anonym bleiben will: Es sei eine Folge der strikten Sparpolitik des Landes, dass die Anstalt tatsächlich gezwungen sei, Gefangene gerade an Wochenenden fast durchgehend auf ihrem Haftraum "zu verwahren", und dies mit einer Notbesatzung von wenigen Bediensteten zu gewährleisten, die deshalb auch nicht allen Störungen in den Hafthäusern nachgehen könnten.

Der Briefeschreiber versichert: "Der Mord am Gefangenen H. ist leider auch das letzte tragische Ereignis in einer Kette bisheriger massiver Misshandlungen von Gefangenen an Mitgefangenen in der JVA Siegburg. Jede der vergangenen Misshandlungen hätte schon den Mord an einem Gefangenen bedeuten können. Sowohl die Leitung der JVA wie auch die vorgesetzte Behörde weiß davon."

Für den Schreiber ist die Ermordung des 20-Jährigen auch eine Folge der Machtstrukturen in der JVA und ihrer Leitung, die einerseits "entscheidungsschwach" (Neufeind), und andererseits "diktatorisch" (Neufeld) sei. Würde der GA im Detail wiedergeben, wie der anonyme Schreiber im Einzelnen die Zustände beschreibt, würde er sich angesichts der Anonymität des Informanten wahrscheinlich angreifbar machen.

Die Autoren der anderen anonymen Briefe, eigenen Angaben zufolge ebenfalls Siegburger Vollzugsbeamte, beschreiben die Verhältnisse genauso. So heißt es dort: "In einem von Angst besetzten Arbeitsklima stehen die Bediensteten am unteren Ende und unter ihnen die Gefangenen."

Vor allem weibliche Bedienstete hätten besonders zu leiden, doch alle Anzeigen an die vorgesetzten Behörden seien gescheitert. Drei Briefe enden mit der flehentlichen Bitte an die Medien, genau hinzusehen und sich nicht mit offiziellen Erklärungen abspeisen zu lassen. "Was der Siegburger Vollzug braucht, ist ständige Kontrolle von Außen durch die Medien."

Auf die Vorwürfe in den anonymen Schreiben angesprochen erklärte Walter Neufeld dem GA: "Auf anonyme Schreiben reagiere ich gar nicht." Ein weiterer früherer Mitarbeiter bestätigte dem General-Anzeiger auf Nachfrage, dass sich die Situation in der JVA mit Amtsantritt des Führungsduos vor rund 15 Jahren dramatisch verschlechtert habe.

Seitdem sei kaum noch eine vernünftige Arbeit mit den Strafgefangenen möglich gewesen. Viele gute Mitarbeiter seien deshalb gegangen oder krank geworden, weil sie keine Perspektive mehr gehabt hätten. Er selbst habe das Haus auch verlassen, weil alle Versuche, die übergeordneten Behörden für die Missstände zu sensibilisieren, gescheitert seien. Der Anstaltsleitung sei stets der Rücken gestärkt worden.

Nicht zuletzt deshalb sind zurzeit alle Augen auf den neuen Siegburger JVA-Leiter Michael Thewalt gerichtet. Er hat ab sofort alle Hände voll zu tun. Der am Montag von Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter eingesetzte Interimsleiter hatte am Dienstag seinen "ersten richtigen Arbeitstag" in der Kreisstadt. "Ich muss erst einmal ankommen. Ich bin gerade dabei, mich in der gesamten Anstalt vorzustellen", sagte er dem General-Anzeiger.

Der 58-jährige Abteilungsdirektor des Landesvollzugsamtes Wuppertal ist zunächst für drei Monate zur "Wahrnehmung der Geschäfte des Anstaltsleiters" nach Siegburg abgeordnet. Der bisherige JVA-Chef Wolfgang Neufeind wurde indessen ins Vollzugsamt beordert.

Thewalt ist als gelernter Jurist seit 25 Jahren im Vollzug beschäftigt. Seine erste Station war 1981 die JVA Siegburg - und zwar um den Jugendstrafvollzug kennenzulernen. Im Anschluss war er Abteilungsleiter in der JVA Rheinbach. Später ging er als Vizeanstaltsleiter nach Geldern und Köln. 1995 wurde er Chef in der JVA Heinsberg, 1998 in Düsseldorf. Seit 2001 ist er beim Justizvollzugsamt, zuletzt als Abteilungsdirektor der Vollzugsabteilung im Landesvollzug.

Die Frage aus dem Justizministerium, ob er den Job in Siegburg übernehmen will, kam am Montag. Dann ging alles sehr schnell. Zurzeit stehen viele Gespräche an. "Ich muss die Mitarbeiter und Gefangenen kennenlernen, die Abläufe und Strukturen", sagte er am Dienstag. "Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Bewertung abgeben." Thewalt wird vermutlich keine Dauerlösung für Siegburg sein, denn eine berufliche Verbesserung ist die Abordnung für ihn nicht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort