Selbstgeißelung vor Ersdorfer Pfarrkirche

Ein "Trauerzug" schiitischer Moslems hat die Ortsbewohner in Aufregung versetzt

Meckenheim-Ersdorf. Eine Familie pakistanischer Herkunft zieht nach Ersdorf, wo sie im Oberdorf einen ehemaligen Bauernhof gekauft hat. Das ist zunächst nichts Ungewöhnliches: Nachbarn kommen und gehen. Als in regelmäßigen Abständen im Haus und im Garten große Familientreffen stattzufinden scheinen, die mit Lärm und von Autos aus ganz Deutschland zugeparkten Straßen verbunden sind, beginnen die Anwohner rundum schon zu murren.

Anfang Juni aber geschieht etwas, das alle Augenzeugen nachhaltig schockiert und das die religiöse Toleranz der überwiegend katholischen Dorfbewohner an ihre Grenzen bringt: 70 bis 80 Männer ziehen an jenem Sonntag vom Oberdorf aus durch Ersdorf, stampfen mit den Füßen auf und schlagen sich rhythmisch mit den Fäusten auf den nackten Oberkörper. Vor der katholischen Pfarrkirche Sankt Jakobus verharren sie. Drinnen feiert zu diesem Zeitpunkt Pfarrer Michael Jung mit der Gemeinde die Messe.

Die Männer, die an diesem offenbar religiös motivierten Umzug beteiligt waren, seien offenbar in einem Trancezustand gewesen, glaubt der Ersdorfer Ortsvorsteher Ferdinand Koll, der zufällig Zeuge des Aufzugs wurde. "Ich kam gerade nach Hause und wunderte mich über die Straßensperrung." Die Polizei sei im Einsatz gewesen, um für die Verkehrssicherheit zu sorgen.

Der Umzug war bei der Stadt ganz offiziell angemeldet worden, wie das Meckenheimer Ordnungsamt auf Anfrage des General-Anzeigers bestätigte. Die Anmeldung eines Trauermarsches hatte offenbar keinen Argwohn hervorgerufen, zumal darauf verwiesen worden sei, dass es eine solche Veranstaltung bereits im niedersächsischen Vechta gegeben habe.

Dort sitzt auch der Verein "Anjunan E Sajjadia", dessen Flugblätter am Rande des denkwürdigen Marsches durch Ersdorf verteilt wurden. Der deutschsprachige Text, der dem General-Anzeiger vorliegt, gibt wenigstens ansatzweise eine Erklärung für das Geschehen: Es handelte sich offenbar um Schiiten, die mit der Selbstgeißelung dem von ihnen verehrten Imam Husain huldigten.

Dessen Lebens- und Leidensgeschichte - er ist der Überlieferung nach als Märtyrer in Kerbela im heutigen Irak gestorben - und seine Bedeutung für schiitische Moslems wird auf den Handzetteln erklärt, teilweise mit Textzitaten des katholischen Theologen Hans Küng und der inzwischen verstorbenen Bonner Orientalistin Annemarie Schimmel.

Die Ersdorfer aber haben trotz dieser Informationsversuche kein Verständnis für derartige Aufmärsche. Inzwischen haben einige eine Protestaktion mit Unterschriftensammlung initiiert. 80 Namen standen bis vergangenen Dienstag nach ihren Angaben auf dieser Liste. Motto: Wir wollen solche Nachbarn nicht. Denn, so sagen Ortsbewohner, die namentlich nicht genannt werden wollen, was auf dem Grundstück der Familie an der Oberdorfstraße passiert, macht ihnen inzwischen Angst.

Die Rede ist von nächtlichem Gesang und Tanz und per Megaphon oder Lautsprecher verstärkten Ausrufen, die die Nachbarn als Koranrezitation interpretieren. Stundenlang sei das auch vor dem Marsch der Geißelgänger so gegangen. Bis zu 150 Personen träfen sich dort mitunter. Es wird aber auch berichtet, dass die Nachbarschaft anlässlich der einen oder anderen Zusammenkunft zum Essen eingeladen worden sei. Zwischendurch scheine das Haus immer wieder längere Zeit unbewohnt zu sein.

Auch der Versuch einer General-Anzeiger-Mitarbeiterin, mit Angehörigen der Familie zu sprechen, schlägt fehl: Die Rollläden sind herunter gelassen. Auf das Klingeln an der Haustür reagiert niemand. Im Garten, der von der Straße aus zu sehen ist, steht ein großes blau-weißes Zelt, samt Teppichen und Gebetstischen. Nachbarin Marlies Hepenstrick betont: "Wir sind nicht ausländerfeindlich. Es dürfen nur die Grenzen nicht überschritten werden, die für jeden gelten." Die Ersdorfer wollten nur, dass sich die Vorkommnisse nicht wiederholen.

Auch die Kommunalpolitiker sind spätestens seit Dienstagabend sensibilisiert: Seit die Stadtverwaltung einen Tagesordnungspunkt der Bauausschusssitzung zurückzog, der sich um eben jenes Grundstück in Ersdorf dreht. Es handelte sich um den Antrag der Eigentümer, eine 75 Quadratmeter große Lagerhalle in einen "Folkloreraum" für die Familie umzuwidmen.

Es gebe noch Informationsbedarf, lautete die Begründung der Verwaltung. Den sieht auch Ortsvorsteher Ferdinand Koll, Vorsitzender des Bauausschusses. Er plädiert für größtmögliche Aufklärung darüber, was auf dem Grundstück geplant ist. "Der Dorffrieden ist jetzt schon gestört."

Als Vermittlerin in der Sache bietet sich unterdessen Beate Sträter an. Sie ist Islambeauftragte des evangelischen Kirchenkreises und fördert seit einigen Jahren erfolgreich den christlich-islamischen Dialog. Man müsse auf die Familie zugehen und mit ihr sprechen, bevor der Unmut im Ort zu groß werde, regt sie an.

Der Marsch der Geißelgänger durch Ersdorf überrascht sie allerdings, zumal die Aschura, das Gedenken an den Märtyrer Husain, eigentlich im Januar begangen worden sei. Von einem derartigen Aufzug irgendwo in der Bundesrepublik habe sie überhaupt noch nicht gehört, zumal die Zahl der Schiiten weltweit, und erst recht in Deutschland, sehr gering sei.

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