Psychische Erkrankungen Knappes Angebot an ambulanter Psychotherapie in Bonn und der Region

KÖLN/BONN · Dass die Arbeit zu viel wurde, hatte Sabine H. (Name geändert) schon länger gespürt. Nach Besitzerwechsel und Personalabbau musste sie bei ihrem Kölner Arbeitgeber fast doppelt so viele Kunden betreuen wie zuvor. Zehnstundentage gehörten zum Normalpensum.

 Hinter Bergen von Arbeit: Hohe Belastungen am Arbeitsplatz haben die Zahl psychischer Erkrankungen in den vergangenen Jahren stark nach oben getrieben.Viele Betroffene suchen Hilfe bei Psychotherapeuten, der Ansturm auf die Praxen führt zu langen Wartezeiten.

Hinter Bergen von Arbeit: Hohe Belastungen am Arbeitsplatz haben die Zahl psychischer Erkrankungen in den vergangenen Jahren stark nach oben getrieben.Viele Betroffene suchen Hilfe bei Psychotherapeuten, der Ansturm auf die Praxen führt zu langen Wartezeiten.

Foto: ap

Aber der 41-Jährigen machte ihre Arbeit Spaß. "'Ich schaffe das schon', redete ich mir ein", berichtet die Bonnerin heute. Doch bald war sie abends regelmäßig erschöpft, schlief schlecht. Schließlich konnte sich Sabine H. bei der Arbeit nicht mehr richtig konzentrieren, selbst einfache Tätigkeiten fielen ihr schwer. Dann auf einmal Übelkeit, Herzrasen, Schweißausbrüche und Panikattacken. Sabine H. brach zusammen.

Diagnose des Hausarztes: Burnout. Er schrieb Sabine H. krank und überwies sie an einen Psychotherapeuten. "Da lief ich dann wie gegen Wände. Ich fand einfach keine Hilfe", erzählt Sabine H. "Ich telefonierte mir die Finger wund, doch alle Praxen waren anscheinend ausgebucht. Man bot mir - wenn überhaupt - dann erst Monate später einen Termin für ein Erstgespräch an. Ich wusste auch gar nicht, ob das überhaupt das Richtige für mich ist."

Sabine H. ist kein Einzelfall. Menschen mit psychischen Erkrankungen, seien es Burnouts, Depressionen oder Angstzustände, finden in Deutschland immer schwerer einen Therapieplatz. Im vergangenen Jahr hatten rund 370 Betroffene der Deutschen Depressions-Liga geschildert, wie es ihnen auf ihrer Suche nach einem Psychotherapieplatz erging.

Mehr als ein Drittel von ihnen musste länger als vier Monate auf den Beginn der Psychotherapie warten, ein Viertel sogar über sechs Monate. Bei fast einem Drittel verschlechterte sich der Zustand durch die vielen Absagen und die ausbleibende Behandlung. 15 Prozent wurden voll- oder teilstationär behandelt, während sie warten mussten oder weil sie keinen ambulanten Therapieplatz fanden. Ein Drittel der Befragten blieb ganz ohne Unterstützung.

"Immer wieder auf Anrufbeantworter sprechen, in Erstgesprächen mit völlig fremden Menschen das Innerste nach außen kehren, kostete mich unendlich viel Kraft", beschreibt ein Betroffener diese Zeit. "Mein Mann hat die Telefonate übernommen, weil ich nach einigen Absagen nicht mehr dazu in der Lage war. Ich empfand es als demütigend und habe mir gewünscht, Krebs oder einen Herzinfarkt zu haben, weil man dann nicht so allein gelassen wird", erzählt eine Patientin. "Beim Erstgespräch nahm mir der Psychotherapeut meinen Überweisungsschein ab und erklärte mir dann, für eine Therapie habe er leider keine Termine frei", schildert ein anderer.

Rund zwei Monate warten Patienten in Köln und Bonn nach einer Erhebung der Bundestherapeutenkammer auf ein Erstgespräch. In den umliegenden Landkreisen dauert es teilweise mehr als doppelt so lange. Dabei bedeutet das Erstgespräch noch nicht, dass die Therapie beginnt. Erst wenn Therapeut und Patient sich eine Zusammenarbeit vorstellen können, kann ein Therapieplan erarbeitet und der Antrag bei der Krankenkasse eingereicht werden.

Zwischen Erstgespräch und Therapiebeginn können noch einmal bis zu drei Monate vergehen. Ursache für den Andrang in den Praxen ist ein deutlicher Anstieg der psychischen Erkrankungen, der seit Jahren von den Krankenkassen dokumentiert wird.

Im Gesundheitsreport der Barmer GEK nehmen psychische Erkrankungen inzwischen den zweiten Platz bei den krankheitsbedingten Fehltagen ein. Der wirtschaftliche Schaden etwa wegen Produktionsausfällen liegt nach Berechnungen der Bundesregierung bei rund 26 Milliarden Euro jährlich. Die durchschnittliche Erkrankungsdauer beträgt 40,5 Tage. Nur Krebskranke sind laut Barmer GEK länger krankgeschrieben.

Unter allen psychischen Krankheiten verursachen Folgen von Stress bei der Arbeit zwar nur einen kleinen Teil von 4,5 Prozent der Fehltage, doch haben sich die Ausfälle wegen sogenannten Burnouts seit dem Jahr 2004 fast verfünfzehnfacht. "Die Menschen fühlen sich in ihrem Leben und bei ihrer Arbeit immer häufiger überfordert", sagt Rainer Richter, Präsident der Bundestherapeutenkammer in Berlin.

"Die psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft werden erheblich unterschätzt." Allerdings sei Arbeit nach wie vor auch ein wichtiger Faktor für psychische Gesundheit. Richter: "Arbeitslose leiden bei Weitem häufiger an psychischen Erkrankungen." Richter hält es auch nicht für erwiesen, dass tatsächlich die Anzahl der psychischen Erkrankungen steigt: "Wahrscheinlicher ist, dass höhere Diagnose- und Behandlungsraten für den Anstieg der Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen verantwortlich sind."

Mit anderen Worten: Viele Menschen sind heute eher bereit, sich bei psychischen Beschwerden in Behandlung zu begeben. Derzeit verhandeln Politik, Ärzte und Krankenkassen um einen neuen Schlüssel für die Zahl der Psychotherapeutenpraxen in Deutschland. Doch das Ergebnis ist noch offen. Würden lediglich weitere Praxen genehmigt, aber kein weiteres Geld, müssten sich mehr Psychotherapeuten mit weniger Honorar begnügen.

Sabine H. fühlt sich drei Monate nach ihrem Zusammenbruch deutlich besser. Sie hat auf Empfehlung von Bekannten einen freiberuflich tätigen Coach engagiert, den sie allerdings aus eigener Tasche bezahlen muss.

"Mit praktischen Tipps, mein Verhalten zu ändern, hat er mir sofort geholfen", sagt Sabine H. "Heute achte ich mehr auf das, was ich tue, lebe mehr in der Gegenwart und fühle mich auch nicht mehr für alles und jedes verantwortlich."

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