Otto Flimm im Portrait "Der Nürburgring ist keine Kirmes"

BRÜHL · Der Brühler Unternehmer und langjährige ADAC-Präsident Otto Flimm ist eine Nürburgring-Legende. Nicht wenige Menschen in der Eifel hoffen nun, dass der 83-Jährige die schönste Rennstrecke der Welt ein zweites Mal rettet

 Eine Leidenschaft für alles, was Räder hat: Der 83-jährige Otto Flimm auf seiner Harley-Davidson Fat Boy vor der Lkw-Laderampe seiner Firma in Brühl.

Eine Leidenschaft für alles, was Räder hat: Der 83-jährige Otto Flimm auf seiner Harley-Davidson Fat Boy vor der Lkw-Laderampe seiner Firma in Brühl.

Foto: Wolfgang Kaes

Das dunkle, kräftige Blubbern verrät die Ankunft des Seniorchefs. Eine mächtige Harley-Davidson Fat Boy rollt auf den Firmenhof an der Kölnstraße in Brühl. Während andere 83-Jährige den Rollator zur Bewältigung ihres Rentneralltags zu Hilfe nehmen müssen, kurvt Otto Flimm auf seinem schweren Motorrad zur Arbeit. "Vielleicht sind 1,6 Liter Hubraum ja doch etwas übertrieben" grübelt der zweifache deutsche Motocross-Meister der 50er Jahre, während er sich aus seiner Lederjacke schält. "500 Kubik hätten es sicher auch getan. Ich bin ja normalerweise gar kein Freund von protzigen Statussymbolen. Aber bei der Harley ist die Sitzhöhe einfach perfekt für mein Alter."

Seit Spirituosenfabrikant Otto Flimm das operative Geschäft an seinen Sohn Carl weitergegeben hat, begnügt er sich mit einer Zehn-Stunden-Woche in der Firma. Der Rest ist wohlverdiente Freizeit?

Irrtum. Auf der Visitenkarte des 83-Jährigen stehen gleich drei Büroadressen; neben der seiner Brühler Firma noch eine in München und eine in Köln. Denn Flimm, von 1989 bis 2001 ADAC-Präsident und von 1973 bis 2005 Vorsitzender des ADAC Nordrhein, ist immer noch Ehrenpräsident des mit 16 Millionen Mitgliedern zweitgrößten Automobilclubs der Welt sowie Ehrenvorsitzender des einflussreichen, mitgliederstärksten Regionalverbandes Nordrhein.

Außerdem ist er seit 61 Jahren Vorsitzender des von ihm gegründeten BCM (Brühler Club für Motorsport e.V. im ADAC), ferner Vorsitzender der BCM-Segelabteilung, Vorsitzender des Reit- und Fahrvereins Birkhof-Ville, Ehrenvizepräsident der FIA (Internationaler Dachverband des Automobilsports und damit auch der Formel 1) sowie immer noch Vorsitzender der 1981 gegründeten und als Verein organisierten Bürgerinitiative "Ja zum Nürburgring".

Ein gewöhnlicher Vereinsmeier? Eher ein außergewöhnlich talentierter Strippenzieher, selten im eigenen Interesse, immer im Dienst der Sache. Während seiner zwölf Jahre als ADAC-Präsident ("Ein 50-Stunden-Job") begnügte er sich auf eigenen Wunsch mit einer Aufwandsentschädigung statt eines satten Gehalts und zahlte sämtliche Reise- und Hotelkosten selbst.

Flimm ist nur zwei Jahre jünger als der 1927 eröffnete Nürburgring. Schon einmal hat er seinen heiß geliebten Ring gerettet. Nach dem dramatischen Unfall von Niki Lauda am 1. Oktober 1976. "Da ließ die GmbH die Nordschleife panikartig, ohne Rücksprache mit den Rennveranstaltern, für viel, viel Geld modernisieren. Dabei stand doch längst fest: Auf der Nordschleife würde es nie wieder ein Formel-1-Rennen geben. Was für eine Geldverschwendung."

Fünf Jahre lang warb und kämpfte Otto Flimm für seine Vision: nagelneue Grand-Prix-Strecke nach modernsten Gesichtspunkten plus schuldenfreie GmbH plus Erhalt der Nordschleife für Tests, Tourenwagen-Rennen, Tourismus und Breitensport. Flimm organisierte Demos, sammelte Spenden in Höhe von sechs Millionen Mark (zehn Prozent der Baukosten) und setzte so die Bundesregierung in Bonn sowie die Landesregierung in Mainz mächtig unter Zugzwang.

Schließlich brachte er alle Entscheidungsträger in den Räumen des Bonner ADAC-Büros an der Godesberger Allee 127, gleich neben der iranischen Botschaft, an einen Tisch und zu einer Entscheidung: Der Bund erklärte sich bereit, den Bau mit 50 Millionen Mark zu bezuschussen, stahl sich aber zugleich aus der künftigen Verantwortung als Eigentümer und erwirkte den Ausstieg als Gesellschafter. Seither, bis zur Insolvenz in diesem Jahr, gehörte der Ring zu 90 Prozent dem Land Rheinland-Pfalz und zu zehn Prozent dem Kreis Ahrweiler. Am 12. Mai 1984 wurde der neue Grand-Prix-Kurs eröffnet.

"Schon damals kam der neue Geschäftsführer Rainer Mertel mit der verrückten Idee eines Vergnügungsparks", erinnert sich Flimm. "Da habe ich dann meinen Brühler Mitbürger Gottfried Löffelhardt, Erfinder und Eigentümer des erfolgreichen Phantasialands, gefragt, was er davon halte. Der hat das geprüft und sich alles vor Ort angeschaut und schließlich gesagt: Das funktioniert dort nie und nimmer. Allein schon wegen des Eifel-Wetters. Der sehr kluge Ahrweiler Landrat Egon Plümer zauberte dann noch ein entsprechendes kritisches Gutachten hervor, und damit war die Sache vom Tisch."

Allerdings nicht für immer. Damit jedoch hatte selbst Otto Flimm nicht gerechnet: "Als Mertels Nachfolger Walter Kafitz zwei Jahrzehnte später wieder mit der Idee um die Ecke kam, dachte ich: Das wird denselben Verlauf nehmen wie damals. Der Ring ist doch keine Kirmes. Außerdem versicherte der Herr Kafitz ja öffentlich, dass der Vergnügungspark nur bei einer hundertprozentigen Privatfinanzierung gebaut werde.

Da dachte ich: Für diese Spinnerei wird sich kein privater Geldgeber finden, du kannst dich also mal ganz entspannt zurücklehnen." Doch der Ahrweiler Landrat und Herr über zehn Prozent des Rings heißt inzwischen nicht mehr Egon Plümer oder Joachim Weiler, sondern Jürgen Pföhler, und was sich das Kabinett des Mainzer Landesvaters und 90-prozentigen Anteilseigners in den folgenden Jahren an Taschenspielertricks einfallen ließ, um das desaströse Projekt am Ende komplett mit Steuergeldern zu finanzieren, überstieg schlicht die Fantasie des Privatunternehmers Otto Flimm. Weiteres Kuriosum: Obwohl die Mainzer Landesregierung das Desaster verursacht hat, wird das Land über die landeseigene Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz der größte Gläubiger im Insolvenzverfahren sein.

Wut und Bitterkeit mischen sich in die Stimme des 83-Jährigen, wenn er sagt: "Da ist in der Öffentlichkeit fortwährend von 330 Millionen Euro Schulden die Rede. Glauben Sie mir: Es geht in Wahrheit um mehr als 500 Millionen Euro." Und manche Rätsel um die Pleite sind nach Flimms Ansicht immer noch nicht gelöst. Zum Beispiel jenes um das im neuen Lindner-Hotel am Start und Ziel untergebrachte lukrative Casino, ein Ableger der Spielbank Bad Neuenahr. Von jährlich mehr als drei Millionen Euro Glücksspielabgabe in Richtung Mainz ist die Rede.

"Wenn das stimmt: Für was wird das Geld eigentlich verwendet? Offenbar nicht für den Ring. Ich war kürzlich am Brünnchen. Der Parkplatz an diesem Zuschauermagneten ist in einem fürchterlichen Zustand. So ruiniert man sich auch noch das Kerngeschäft."

Nicht wenige Eifel-Bewohner, die am Ring und vom Ring leben, hoffen nun in ihrer Verzweiflung, dass Otto Flimm den Nürburgring ein zweites Mal rettet. Eine Sisyphosaufgabe, selbst für einen außergewöhnlich talentierten Strippenzieher. Und wohl eine Zumutung für einen 83-Jährigen.

Dennoch sieht er sich in der moralischen Pflicht. Schließlich heißt die Postadresse der nun insolventen Nürburgring GmbH, die ihn nie um Rat gefragt hat, seit seinem 60. Geburtstag "Otto-Flimm-Str. 1". Mit dem Insolvenzverwalter, dem Trierer Professor Thomas Schmidt, hat er schon ein langes und intensives Gespräch geführt. "Das scheint mir ein kluger Mann zu sein. Ich habe die Hoffnung, dass er die Betroffenen vor Ort mit ins Boot holen und deren Sachverstand nutzen will."

Wäre der Ring in den Händen eines Privatunternehmers künftig besser aufgehoben? "Auf keinen Fall", sagt der Privatunternehmer Flimm. "Tausende Kleinunternehmer rund um den Ring hätten das Nachsehen, ebenso der Breitensport. Ohne Breitensport und Nachwuchsarbeit hätte es aber nie einen Schumacher gegeben. Monopole dürfen nie privat betrieben werden, weil es dann keinen Wettbewerb gibt. Das widerspräche schon der fast 90 Jahre alten Idee des Rings als Strukturhilfemaßnahme für die Eifel."

Aber unter der staatlichen Ägide kam es doch schließlich erst zur Katastrophe? "Ja. Weil Aufsichtsrat und Geschäftsführerposten immer politisch besetzt wurden. Mit willfährigen, politisch genehmen Weggefährten und Freunden, die keine Ahnung vom Motorsport hatten. Aber muss das denn so sein? Nein! Auch eine öffentlich-rechtliche Struktur kann doch Experten als Manager haben. Nehmen Sie als positives Beispiel nur mal den ADAC: Rechtlich gesehen ist das ein Verein. Aber er wird geführt wie ein Wirtschaftsunternehmen. Glauben Sie mir: Das geht."

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