Kammerspiele Bad Godesberg Ulrich Rasche inszeniert "Michael Kohlhaas"

BONN · Der Regisseur Ulrich Rasche hat Heinrich von Kleists Novelle "Michael Kohlhaas" in den Kammerspielen als szenisches Oratorium inszeniert. Es ist ein visuelles, akustisches und sprachliches Gesamtkunstwerk mit ungeheurer Sogkraft.

 Figuren im unerbittlich auf der Stelle kreisenden Räderwerk der Geschichte: Szene aus "Michael Kohlhaas".

Figuren im unerbittlich auf der Stelle kreisenden Räderwerk der Geschichte: Szene aus "Michael Kohlhaas".

Foto: Thilo Beu

An vom Schnürboden hängenden Seilen müssen sie sich jedes Mal festschnallen, wenn sie die riesige, metallisch grau glänzende Walze betreten. Sie sind Figuren im unerbittlich auf der Stelle kreisenden Räderwerk der Geschichte, das sie zu einem stehenden Sturmlauf zwingt.

Der Pferdehändler Michael Kohlhaas, "einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit", verliert den Boden unter den Füßen, als ihm vom Junker von Tronka schweres Unrecht geschieht und seine bürgerlichen Rechte in den Staub getreten werden.

Die von Ulrich Rasche entworfene Bühnenskulptur aus vertikal gegeneinander versetzten ovalen Scheiben hebt und senkt die Akteure, ist Projektionsfläche für die von Kohlhaas entfachten Flammen der Rache und den kalten Rauch der Revolte. Vor allem nimmt dieses technische Wunderwerk jedoch ebenso wie das gesamte Ensemble ungemein präzis Kleists dramatischen Sprachrhythmus mit seinen raffinierten narrativen Retardierungen und Beschleunigungen auf.

Gegen das Dauerrollen des Untergrundes setzen die fabelhaft genau geführten Schauspieler und Sänger ein statisches Schreiten und ein bewegendes Stimmkonzert. Jürgen Lehmann als Sprech-Chorleiter kommandiert und dirigiert die Schauspieler, die Kleists (um einige Motivstränge gekürzten) Text passagenweise als virtuose Wortmusik zelebrieren und damit die Aufmerksamkeit auf die vertrackte Logik des Geschehens lenken.

Vordergründig illustriert wird dabei nichts: kein historisches Dekor, kein Schlachtengetümmel, kein Theaterblut. Dass alles als pures Theater funktioniert, wird gleich zu Anfang gezeigt, wenn Philine Bührer leise ins Mikrofon haucht oder Papier zerknüllt und daraus über Rückkopplungen der Tonspur anschwellender Wind und schwelendes Feuerknistern entstehen.

Der Anlass für die unerhörte Begebenheit wird mit hochgespannter Ruhe exponiert, bevor die Gewalt unaufhaltsam ihren Lauf nimmt. Alle weiß gekleideten Schauspieler (Kostüme: Sara Schwartz) sind Teil eines mächtigen Erzählstroms, aus dem sich individuelle Stimmen herauslösen und einzelne Figuren entstehen. Sie übernehmen zugewiesene Rollen und wandern sachte rückwärts aus dem Spiel, wenn ihr Part zu Ende ist.

Dennoch gibt es viele emotionale Momente, die die streng formalisierte Ästhetik durchbrechen. Kohlhaas' Konflikt zwischen Recht und Gesetz verkörpert Nico Link bravourös mit verhaltener Wut. Mareile Blendl als Kohlhaas' tapfere Gattin Lisbeth stirbt aufrecht mit solch zarter Verletzlichkeit, dass die Maschinerie einen Moment lang anhalten muss.

Hendrik Richter berührt als grausam misshandelter Knecht Herse. Die hervorragende Kornelia Lüdorff, Philine Bührer, Dominik Fornezzi und Roman Hermetsberger sorgen in wechselnden Rollen für den Fortgang der Geschichte.

In deren Sprachwucht mischt sich zunehmend himmlischer Gesang (Musik: Johannes Winde), was die Aufführung zu einem betörenden Klangereignis macht. Julia Birke, Ines Madeira, Guillaume Francois und Arturas Mikmaitis in schwarzen Kostümen laufen mit auf der Walze, kommentieren mit "Requiem" und "Dies irae" Trauer und Verzweiflung und lassen Händels barocken Stimmglanz über der zerrissenen Harmonie leuchten. Eine aus den Fugen geratene, unheile Welt fügt sich durch die heilig-heilende Schönheit der Musik.

Allein Falilou Seck als Luther steht außerhalb des Umwälzungsapparats, wenn er den Aufrührer Kohlhaas zur Anerkennung höherer Gesetze mahnt. Der verlässt - zum ersten Mal vorwärts - seinen Standpunkt und verfängt sich im gefährlichen Innenleben der Maschine. Sein Recht wird er bekommen, sein Todesurteil nach kurzem Zögern akzeptieren.

Nach pausenlosen zweieinviertel Stunden hängen alle wie Puppen an ihren Fäden. Und erinnern an Kleists Dialektik des Marionettentheaters, in dem die ursprüngliche Grazie entweder gar kein Bewusstsein oder ein unendliches braucht.

Nächste Vorstellungen: 19. Mai, 19.30 Uhr, und 20. Mai, 18 Uhr. Karten: in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen und bei bonnticket.de

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