Wanderungen durch Montaignes Welten

Der Bonner Schriftsteller und Übersetzer Hans Adolf Stiehl, genannt Stilett, wird 85 Jahre alt

Wanderungen durch Montaignes Welten
Foto: Franz Fischer

Bonn. "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, / dass ich nicht ewig bin./ Ist denn vom Leben scheiden / des Lebens letzter Sinn?", reimte Hans Adolf Stiehl, genannt Stilett, im November 2006, als er dem Rheinischen Literaturarchiv beim Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf ein erstes großes Konvolut an Manuskripten und Belegexemplaren gedruckter Werke übergab.

94 Aktenordner und 30 Regalmeter Bücher zum Thema Michel de Montaigne werden folgen, wenn Hans Adolf Stiehl sein neues Opus vollendet haben wird: "Wanderungen durch Montaignes Welten".

Weihnachten 2007 soll es auf den Gabentischen der geistig Beweglichen und ewig Neugierigen liegen. Michel de Montaigne hat das Leben des Autors und Übersetzers entscheidend verändert, bestimmt seinen Biorhythmus, seine Denkweise, einfacher gesagt: all seine Verhältnisse.

Am 20. April 1922 in Witzenroda/Thüringen geboren, dort selbst Schule und Abitur. Entdeckt seine Leidenschaften für Sprachen, von denen er Französisch, Latein, Englisch und Italienisch beherrscht.

Seit 1953 lebt er in Bonn, arbeitet vornehmlich fürs Bundespresseamt und macht sich in der Rheinischen Literaturszene mit zahlreichen Veröffentlichungen (darunter preisgekrönte Haikus) einen Namen. Nach seiner Pensionierung schrieb sich Hans Adolf Stiehl an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität ein, um mit einer Doktorarbeit über Goethes "Italienische Reise" zu brillieren.

Das Thema war vergeben. Aber Montaigne wartete, und Stilett, der Wilde und Wilderer, fand zu einer ihm selber beinah unheimlichen Ruhe und Gelassenheit. Montaignes Essays, verfasst im 16. Jahrhundert, von Lessing, Flaubert und Nietzsche begeistert gelesen, von der Katholischen Kirche auf den Index gesetzt, hatten seit über zweihundert Jahren keine gescheite Übersetzung erfahren.

Aus der zeitüberschaubaren Arbeit an der Dissertation wurde ein auf die Ewigkeit angelegtes Liebesverhältnis. 1998 - pünktlich zum 400. Todestag Montaignes - fand mit der Unterstützung von Hans Magnus Enzensberger das immerhin zwei Kilogramm schwere Werk den Weg in die Öffentlichkeit und hat sich bisher 60 000 Mal verkauft. Die deutschen wie internationalen Feuilletons überschlugen sich vor lustvoller Begeisterung.

Rundum glücklich war Hans Adolf Stiehl über das Lob eines Franzosen, der, des Deutschen mächtig, dem Bonner Übersetzer versicherte, für seine Montaigne-Lektüre die Stiehlsche Übersetzung zu wählen. Fragt man Hans Adolf Stiehl heute nach seiner Lieblingslektüre, antwortet er: Montaigne.

Nach seinen Lieblingsweinen, Lieblingsfrauen, Lieblingspolitikern befragt, dürfte er ebenfalls Montaigne nennen. Den Wein vielleicht noch mit dem Zusatz Riesling von der Saar, die Frauen als füllig sowie die Politiker als linksliberal veredeln. Er besteht auf dem notwendigen Gleichgewicht von Standbein und Spielbein, auf dem "ständigen Sowohl-als-auch mit Schwerpunkten".

Es darf durchaus kleinere Verschiebungen geben, je nach Alter und Vitalität. Flexibilität hat bei dem heute 85-Jährigen höchste Priorität. Wobei die Arbeitszeiten zwischen Mitternacht und vier Uhr in der Früh ebenso sicher sind wie die dazugehörende Flasche Wein. "Per vitem ad vitam" - durch Reben zum Leben umschreibt er diesen für ihn idealen Zustand als gelehriger Diener Montaignes.

So, wie Hans Adolf Stiehl zur Zeit lebt, möchte es noch ein Weilchen bleiben, sinniert er, wissend, dass der Countdown läuft: "Herr ich bin bereits, aber es pressiert nicht." Besondere Wünsche? Eher nicht. Höchstens einen, aber den drei Mal.

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