Tim Bendzko muss nur noch kurz die Welt retten

KÖLN · Tim Bendzko hat in der Kölner Live Music Hall Solidarität mit den Sprachlosen gezeigt. Der Zwang, permanent die Welt retten zu müssen - und sei es nur die deutsche Popwelt -, war an Tim Bendzko offenbar nicht spurlos vorübergegangen.

 Charme-Offensive in Köln: Tim Bendzko begeistert 1500 Fans.

Charme-Offensive in Köln: Tim Bendzko begeistert 1500 Fans.

Foto: Thomas Brill

Der Berliner, der im vergangenen Jahr den Bundesvision Song Contest gewann, mit dem Bambi als bester Newcomer ausgezeichnet wurde und schließlich auch noch die 1Live Krone für "Nur noch kurz die Welt retten" als beste Single aufgesetzt bekam, musste die vorherigen Konzerttermine in Osnabrück (29.) und Krefeld (30.) aus gesundheitlichen Gründen absagen.

"Doch in Köln steht man auch mit 42 Grad Fieber auf der Bühne", erklärt mit leiser Ironie bezüglich anbiedernder Publikumsansprachen ein bestens aufgelegter Tim Bendzko. Gut 1500 Fans, darunter mindestens die Hälfte weiblich, in der restlos ausverkauften Kölner Live Music Hall sind spätestens jetzt dem Charme des 26-jährigen Lockenkopfs aus Köpenick erlegen.

Sein Charisma ist das Ergebnis von Gegensätzen. Er inszeniert sich als romantischer Träumer, der aber kein Hohlkopf ist, sondern sich mit durchaus analytischem Intellekt Problemen und Sinnfragen widmet, die typisch für die Generation der 20- bis 35-Jährigen sind.

Dabei straft er sein eigenes Lied "Wenn Worte meine Sprache wären" konsequent Lügen. Der einstige Student der evangelischen Theologie und nichtchristlicher Religionen verfügt neben musikalischem Feingefühl und einer exzellenten Stimme sehr wohl über ein ebensolches Talent mit Worten umzugehen.

Seine vorgebliche Sprachlosigkeit dient als Akt der Solidarität mit all jenen Sprachlosen, die sich nicht trauen ihre Gefühle zu äußern. Da rutscht Tim Bendzko mit seinen Texten in eine ähnliche Dolmetscher-Rolle in Liebesbeziehungen wie vor ihm schon Hartmut Engler von PUR.

Ansonsten thematisiert er auch vielfach philosophische Fragen des Alltagslebens, für die selbst nach der Lektüre Prechtscher Lebenshilfen bislang keine befriedigenden Antworten gefunden werden konnten. Vieles hat man schon gehört, gleichwohl hört man Bendzko gern zu, weil man nie das Gefühl hat, dass seine Musik den melancholischen Stimmungsanstrich - meist von antiquiert klingenden Orgelsounds oder warmen Celloklang verbreitet - missbraucht um fehlende Tiefsinnigkeit vorzutäuschen.

Eine leise Innigkeit lässt Bendzko gelegentlich ähnlich wie Xavier Naidoo klingen, wobei er jedoch der Leichtigkeit des Pop verhaftet bleibt und glücklicherweise nie dem religiösem Eifer des Mannheimer Soulsängers verfällt. Nicht so euphorisch, aber letztlich doch ähnlich wie bei Coldplay, nährt die Musik eine von Optimismus getragene Hoffnung auf eine gute Zukunft, und das lieben die Fans.

"Ich hör nicht auf" singt Bendzko fast beschwörend, und selbst in einer Endlosschleife würde dieses Statement nichts von seine magischen Wirkung verlieren. Kurzfristig bleibt er sich treu und startet die Zugaben. Mittelfristig steht er aber vor dem Problem, dass sein zweites Album sich am Erfolg des ersten messen lassen muss. Und an diesem Punkt sind schon ganz andere Talente gescheitert.

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