Geliebt, verkannt und wiederentdeckt Rolandseck und Mainz feiern die Kunst der Nazarener

ROLANDSECK · Dies ist eine Kunst-Geschichte über veränderte Mentalitäten und korrigierte Urteile. Dass es in der zeitgenössischen Kunst keine objektiven Bewertungskriterien gibt, wird allgemein anerkannt. Wie stark aber auch die Einschätzungen im Rückblick auf frühere Künstler oder Kunstbewegungen durch die Brille der eigenen Epoche gesehen werden, vergessen wir allzu leicht.

 "Heilige Cäcilie", 1823 von Joseph Anton Dräger, gemalt. Im Mainzer Landesmuseum.

"Heilige Cäcilie", 1823 von Joseph Anton Dräger, gemalt. Im Mainzer Landesmuseum.

Foto: Museum

Restaurator Vitus Wurmdobler und - wenn er könnte - der Dom zu Speyer wüssten davon ein Lied zu singen. Über 100 Jahre lang diente das Innere des Domes als majestätische Kulisse für einen wandfüllenden Freskenzyklus, bis eine spätere Generation damit nichts mehr anzufangen wusste.

Mit der so in Ungnade gefallenen Kunst der Nazarener, zu der die Fresken gehörten, ging man wenig zimperlich um. Heute, wiederum gut 50 Jahre später, werden die Reste des "Bildersturms" eingesammelt und eine Neubewertung der einst verschmähten Kunst gesucht.

Von all dem konnte der Maler Johann von Schraudolph nichts ahnen, als er 1853 den monumentalen Marienzyklus mit der Marienkrönung in der Apsiskalotte des Speyerer Domes vollendet hatte. Ludwig I. (1786-1868), der kunstsinnige König von Bayern hatte Schraudolph mit der Ausmalung betraut. Die 40 Fresken und etwa 60 separaten Einzelfiguren wurden zum Hauptwerk des Künstlers, der sich mit diesem Programm einer romantisch-altdeutsch gefärbten Kunst, wie sie von der Künstlergruppe der "Nazarener" rund um Friedrich Overbeck und Franz Pforr vertreten wurde, zugehörig fühlte.

Nichts weniger als die Reform der Kunst strebte man an, wollte sich vom strengen Klassizismus lösen und verstärkt religiösen Themen zuwenden. Der monumentalen Wandmalerei, dem Streben nach einem Gesamtkunstwerk, das Architektur, Ausstattung und Malerei verbindet, kam dabei eine zentrale Rolle zu.

1957, als Restaurierungsmaßnahmen im Speyerer Dom anstehen, ist das Verständnis für die Kunstauffassung der Nazarener jedoch verloren gegangen. Das Bildprogramm des Innenraumes wird als rückwärtsgewandt und sentimental empfunden und widerspricht einer puristischen Haltung, in der die Wände der romanischen Architektur frei von Übermalungen ihre Wirkung entfalten sollen.

Überstürzt entscheidet man, sämtliche Fresken mit Ausnahme des Marienzyklus im Mittelschiff zu entfernen. Die gesamten ornamentalen Malereien werden abgeschlagen und unwiderruflich zerstört.

Die abgenommenen Wandmalereien selbst, deren hauchdünne Malschicht man mit der Strappo-Technik mittels Knochenleim und Leinenflicken vorsichtig vom Putz gelöst hat, lagern von nun an aufgerollt für mehrere Jahrzehnte im Kaisersaal des Domes. Vermutlich wäre das ohne Vitus Wurmdobler auch heute noch der Fall. Der Restaurator entwickelt Anfang der 80er Jahre ein Verfahren, mit dem die Schauseite der Bilder wieder sichtbar gemacht werden kann.

Hierzu wird deren Rückseite mit einem Glasfasergewebe als neuem Träger verschmolzen, bevor die Schicht aus Knochenleim, die sich noch auf der Vorderseite befindet, aufgeweicht und abgelöst werden kann. Die einst mit der Wand fest verbundenen Fresken sind nun nicht mehr an einen Malgrund gebunden und deshalb transportabel.

Man entscheidet, dass acht Fresken in den Dom zurückkehren sollen, allerdings nicht an ihren ursprünglichen Ort sondern in den Kaisersaal. Dort wird ab Ende dieses Jahres eine Schraudolph-Dauerausstellung, in der die Fresken auf eigens errichteten Trägerkonstruktionen präsentiert werden, für die Öffentlichkeit zu sehen sein.

Auch im Rolandsecker Arp Museum lassen sich zurzeit die zwölf Apostel, die sich ehemals unter der Marienkrönung in der Apsis befunden haben, aus nächster Nähe betrachten. In der Ausstellung "Die Eroberung der Wand" begegnen die jeweils vier Meter großen Apostel zwölf zeitgenössischen Künstlerinnen. Die Einbettung in den kulturhistorischen Gesamtzusammenhang liefert darüber hinaus die umfangreiche Schau "Die Nazarener - Vom Tiber an den Rhein" im Landesmuseum Mainz.

Hier werden ebenfalls frisch restaurierte Fresken von Schraudolph gezeigt, aber noch wichtiger ist die kunsthistorische Neubetrachtung der Nazarenerkunst, die das harsche Urteil einer früheren Generation revidiert. Das Anliegen der Kuratoren, die Künstlergruppe aus ihrer eigenen Zeit heraus zu verstehen, ermöglicht endlich einen ungetrübten Blick auf die hohe malerische Qualität der Werke. Walter Schumacher, der rheinland-pfälzische Kulturstaatssekretär, fasste das treffend zusammen: "Man muss diese Kunst nicht mögen, aber man kann sich ihrer Faszination nicht entziehen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort