Nichts als Verzweiflung

Sechs Komponisten suchen einen Zugang zu Schumann: Uraufführung von "Robert S." im Alten Malersaal.

 Friedrich Wieck (Andrew Zimmerman) vorm romantischen (Lager-)Feuer.

Friedrich Wieck (Andrew Zimmerman) vorm romantischen (Lager-)Feuer.

Foto: Thilo Beu

Bonn. Den Grundton gibt Theodor W. Adorno an. Aus dem Off hört man den Philosophen, wie er mit seinem typischen Redefluss über die Mechanismen der von ihm scharf kritisierten "Kulturindustrie" räsonniert.

Im Alten Malersaal nimmt das Publikum derweil seine Plätze ein. Regisseur Michael von zur Mühlen und Ausstatter Christoph Ernst haben ihn als Mischung aus Haushaltswarenlager und Requisitenkammer gestaltet, man blickt auf Bügeleisen, Kaffeekannen, Abfalleimer, Plastikpuppen.

Doch zuvor müssen die Besucher zwei Schleusen durchschreiten. Zunächst geht es durch eine Reihenhaus-Eingangstür, über sauber gefliesten Boden vorbei am Standard-Briefkasten und Standard-Zeitungsbox aus dem Baumarkt. Dann folgt ein Zeitsprung in ein biedermeierliches Kabinett der Schumannzeit. Am Boden liegende Gliederpuppen lösen eine Art David-Lynch-Gruseln aus, bevor man die Tür zum eigentlichen Spielort öffnet.

Die Aufführung hat also längst begonnen, bevor Wolfgang Lischke am Pult eines mit Mitgliedern des Beethoven-Orchesters besetzten Kammerensembles seinen ersten Einsatz gibt. Es folgen fünf rund 15-minütige Akte, in denen Stationen des Lebens von Robert Schumann beleuchtet werden, in Gestalt einer (quer zur Biografie stehenden) Reise zu den Schumannstädten Leipzig, Düsseldorf, Zwickau, Bonn, Dresden.

Geschrieben haben die Akte Karola Obermüller, Georg Katzer, Annette Schlünz, Peter Gilbert und Sergej Newski. Jeder dieser Teile trägt also eine andere kompositorische Handschrift, was die Produktion zumindest in musikalischer Hinsicht reizvoll und interessant macht.

Wolfgang Lischke, lange Jahre Erster Kapellmeister der Bonner Oper und ein ausgewiesener Experte in Sachen zeitgenössische Musik, verhalf den unterschiedlichen Musiksprachen zu eindringlicher Wirkung. Das Libretto zu der Produktion, die im Rahmen von "Bonn Chance!" und als Beitrag zum Schumannfest aufgeführt wurde, schrieb Klaus Angermann ursprünglich für das Leipziger Projekt "Flügelschlag-Variationen". Er verwendet für die Gesangspartien originale Schumann-Zitate. Regisseur Michael von zur Mühlen hat daraus eine, bisweilen reichlich kopflastige, Performance gemacht.

Die kreist um nichts Geringeres als um die Frage, ob Kreativität heute noch möglich ist oder nicht vielleicht Spießbürgerlichkeit den einzigen Ausweg bietet. Statt einem Tänzer tritt der selbsternannte "Essayist" Julian Blaue als "Robert S." in Erscheinung und lässt das Publikum an seinen mäandernden, mal erhellenden, mal ermüdenden Gedankenspielen teilnehmen.

Zu Beginn schneiden sich die Protagonisten (Plastik-) Ohren ab, Friedrich Wieck, Vater von Clara Schumann, trägt einen Indianer-Kopfschmuck und setzt ein romantisches Feuer (aus Plastik) in Gang, seine Tochter ist Gitarre spielendes Countrygirl, das irgendwann auch eine Kettensäge bedienen darf.

Alles an diesem Abend steht gewissermaßen in Anführungszeichen, nichts ist so gemeint wie gespielt, natürlich auch die wüste Orgasmus- und Onanier-Szene nicht, in der sich die Männer ihre Finger an Riesenpenissen wund reiben. Dem Gesangsquartett (Hanna Dora Sturludóttir, Mezzosopran, Roland Schneider, Altus, Nicholas Isherwood, Bassbariton, und Andrew Zimmermann, Tenor) wird also einiges an gymnastischer Arbeit abverlangt, was den eindrucksvollen musikalischen Leistungen keinen Abbruch tut.

"Diese Aufführung ist Teil der Kreativwirtschaft", verkündet Julian Blaue. Dem Geist des Kapitalismus kann nichts entfliehen. Das argwöhnte schon Adorno. Wie hört man ihn sagen, bevor der erste Ton erklingt: "Denn nichts als Verzweiflung kann uns retten."

Weitere Aufführungen am 3., 13. und 16. November. Karten u.a. in den Zweigstellen des General-Anzeigers und bei bonnticket.de.

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