Licht aus, Licht an

BONN · Leere und Schweigen ziehen sich wie ein roter Faden durch den "Großen Gatsby" in der Halle Beuel.

Die große Leere gähnt auf der Bühne der Halle Beuel. In der Mitte eine breite Glaswand, halb Spiegel, halb transparent, das ist alles. Hier erzählen Lothar Kittstein, der F. Scott Fitzgeralds Jahrhundertroman "The Great Gatsby" für die Bühne bearbeitet hat, und Regisseur Matthias Fontheim die Geschichte des Parvenüs Jay Gatsby. Doch bevor es losgeht, werfen sie das Publikum erst einmal auf sich selbst zurück.

Acht Schauspieler kommen mit Straßenkleidung und Gepäck auf die Bühne, nehmen Aufstellung und blicken minutenlang stumm geradeaus. Den Zuschauern bleibt nichts anderes übrig, als wahlweise zurückzustarren oder den Blick auf das eigene Spiegelbild in der Glaswand zu richten. Licht aus, Licht an. Die fünf Männer und drei Frauen lösen sich aus ihrer Erstarrung und beginnen seelenruhig damit, sich für ihre Rollen umzuziehen, zu frisieren und zu schminken. Dann erst fällt das erste Wort.

Leere und Schweigen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Inszenierung. Die Welt der Roaring Twenties, in der "Der große Gatsby" seinen Traum von der großen Liebe lebt, ist eine Scheinwelt, wo Reichtum, gesellschaftlicher Aufstieg und Genuss dazu dienen, das Vakuum von Sinnlosigkeit und Langeweile zu füllen. So sieht das große Nichts aus, in dem auch das Premierenpublikum gestrandet ist und von Fontheim den Spiegel vorgehalten bekommt.

Werte werden nur noch in Dollars gemessen, echte Beziehungen gibt es nicht mehr. "Ist ihnen mal aufgefallen, dass ihre Stimme nach Geld klingt?" sagt Gatsby über seine geliebte Daisy, um derentwillen er seine arme Herkunft verleugnet, Reichtum angehäuft, seine Manieren verfeinert und Oberschichten-Diktion trainiert hat. Es wird ihm nichts nützen: Am Ende treibt er erschossen im eigenen Pool, und Daisy bleibt bei ihrem brutalen Ehemann Tom, der die Arroganz und Rücksichtslosigkeit der oberen Zehntausend schon mit der Muttermilch aufgesogen hat. Es wird viel gestanden, geschwiegen und gestarrt an diesem Abend.

Unausgesprochene Gefühle fliegen zwischen den um Worte ringenden Figuren hin und her; immer wieder unterbricht der Klingelton eines Handys das wenige, was von Fitzgeralds eleganter Prosa übrig bleibt. Die Mobiltelefone sind das einzige Requisit, an dem sich die Darsteller festhalten können, und wenn doch einmal echte Emotionen ins Spiel kommen und das jeder merken soll, schlüpfen sie aus ihren Designer-Schuhen.

Trotzdem gelingt es dem Ensemble, die Charakter-Dekadenz mit ihren verschiedenen Vorzeichen und Varianten darzustellen: Hendrik Richters Gatsby steht die elegante Melancholie des geheimnisvollen Neureichen ebenso gut wie der pinkfarbene Anzug; als sein Kontrahent Tom Buchanan überzeugt Falilou Seck mit einem nur notdürftig getarnten, aggressiven Egoismus. Nina Tomczak (Daisy) lässt unter der naiven Oberfläche die Verzweiflung glaubhaft brodeln; Birger Frehse (Nick) und Maria Munkert (Jordan) bewahren sich als Mitläufer und zugleich Außenseiter eine gewisse Distanz zum Geschehen.

Für einige grotesk-komische Momente ist Günter Alt als Eulenäugiger und Meyer Wolfsheim zuständig. Alle zusammen schaffen es, dass ein wenig von der Atmosphäre der mondänen Jazz-Parties, chromblitzenden Limousinen und weißen Flanellhosen hineinweht in die Beueler Leere. Dennoch bleibt dieser "Große Gatsby" mehr Lesung als Theater. Wenn Nick am Ende die Windmaschine einschaltet, gehen seine letzten Worte im Rauschen der durch die Luft wirbelnden Romanseiten unter. Frei nach Kohelet: Alles ist Windhauch, alles vergeht, Reichtum, Liebe, Leben - selbst die Kunst ist nicht für die Ewigkeit gemacht. Freundlicher Beifall.

Die nächsten Aufführungen: 7., 10., 16., 18., 21. und 29. Dezember.

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