Projekt "Endstation" im St. Josef-Krankenhaus Kunst statt Kanüle

Königswinter · Ein Sterbezimmer mit Rosen an der Wand und erotischen Anspielungen. Gedichte, die sich über Wände eines Raumes ausbreiten, wo gemeinhin Bettpfannen ausgewaschen und Bettwäsche gesammelt wird. Eine Intensivstation, in der niemand um sein Leben ringt, vielmehr die Fantasie wilde Purzelbäume schlägt. Auf der "Endstation" im ehemaligen St. Josef-Krankenhaus in Königswinter ist alles anders.

 Fliegendes Nashorn: Endstation-Initiator Helmut Reinelt zeigt in St. Josef mit dem Computer manipulierte und verfremdete Fotografien - exotische Tiere und Leonardos "Letztes Abendmahl" im OP.

Fliegendes Nashorn: Endstation-Initiator Helmut Reinelt zeigt in St. Josef mit dem Computer manipulierte und verfremdete Fotografien - exotische Tiere und Leonardos "Letztes Abendmahl" im OP.

Foto: Frank Homann

Kunst statt Kanülen, Künstler statt Pfleger und Oberärzte. Nora Münch war Krankenschwester, hat viele Menschen auf ihrem Weg in den Tod begleitet, bevor sie Künstlerin wurde: Ihr rotes Sterbezimmer in St. Josef, das wie das Interieur für einen David-Lynch-Film anmutet, verarbeitet das Erlebte, wendet es ins Positive, Hoffnungsfrohe. Aufregend auch, wie bei Eva Wal Lyrik wie ein feines Gespinst über Boden und Wände kriecht oder wie in der Intensivstation Edvard Dekert und Kathrin Diestel pseudodokumentarisch die sehr ironische, fiktive Geschichte des Krankenhauses erzählen.

Das sind drei Positionen von rund 130, die der Video- und Fotokünstler Helmut Reinelt im April dieses Jahres für das privat finanzierte Projekt "Endstation" ins städtische Krankenhaus von Königswinter holte. In sechs Wochen ist der Traum von einem quirligen, alle Kultursparten umfassenden Forum in Königswinter vorbei. Reinelt ist fast ein wenig traurig: "Unheimlich viel Stress, aber ich würde das immer wieder machen."

"In den Menschen, die hier arbeiten, steckt etwas, was raus muss", philosophiert Reinelt. Das gelte auch für jene, die die "Endstation" besuchen. "Das lässt niemanden kalt", sagt er. Jeder wird hier ein Stück weit verändert, überall kommen Erinnerungen hoch, auch wenn es hier nicht mehr nach Krankenhaus und Reinigungsmitteln, sondern nach Künstler-Farbe riecht.

Ich bin jeden Tag hier", erzählt der Bornheimer Künstler Wolf Rabe. "Das ist mein Atelier." Er zeigt auf einen mit Folien abgetrennten Verschlag mitten in einer chaotisch anmutenden Schrotthalde im ersten Stockwerk. Auf den zweiten Blick werden Ordnungen, Strukturen erkennbar, bilden sich Gruppen von Knochen oder OP-Kitteln, sogar ein Vogel-Skelett verbirgt sich im Chaos.

40 Jahre lang war diese Kreatur irgendwo in der Intensivstation verborgen, erzählt man sich. Rabe ist Ansprech- und Dialogpartner: "Viele sind zunächst skeptisch, wir sprechen, und dann kommen sie fünf, sechs, sieben Mal wieder." Das ist eine Erfahrung, die auch Reinelt gemacht hat: "Die Menschen sind neugierig, kehren zurück, weil hier immer etwas Neues passiert - das ist hier eben kein Museum."

Franka Perschen, in Bad Honnef lebende Künstlerin und Museumspädagogin am Arp-Museum in Rolandseck, zählt neben den anwesenden und in St. Josef permanent oder sporadisch arbeitenden Künstlern zu den wichtigen Vermittlern des Projekts "Endstation". Jeden Sonntag führt sie Gruppen durchs Krankenhaus. Und in der sechsten Etage hat Perschen ein spannendes Kunstforum etabliert.

In den ersten Wochen des Leerstands hatten hier GSG-9-Antiterrorkräfte mit Getöse und allem Tamtam Geiselbefreiung geübt. Das erklärt das Fehlen der Türen - die zertrümmerten Relikte wurden vorsorglich entfernt. Die Etage gehört jetzt der Kunst, Schülergruppen, die in einem Pollock-Workshop Wände mit Farbe vollspritzten, wilden Sprayern und Menschen, die im Rahmen eines psychosozialen Projekts über kreative Übungen zu sich selbst finden.

Experimentelles wird hier und auf den übrigen Etagen groß geschrieben, der kreative Prozess ist wichtig, die Aktion, die Auseinandersetzung mit dem vorgefundenen Raum - und mit der Geschichte eines solchen Hauses, das Leid, Erlösung und Tod gesehen hat.

Willy Hölzel lebt praktisch in St. Josef. Tieftraurig und blockiert kam er hier her, trauernd um die Frau, mit der er 40 Jahre verheiratet war. Dann starb auch noch seine Mutter. Hölzel hat Rasenstücke gepflanzt, Porträts seiner verstorbenen Frau und Scherben vom Geschirr seiner Mutter an die Wand gehängt. "Das sieht alles etwas Julian-Schnabel-mäßig aus, ist aber ganz anders gemeint", sagt Hölzel, der in St. Josef neuen Lebensmut geschöpft hat.

"Ich bin voll am Verändern", sagt er euphorisch, "ich fange an zu malen". Erinnerungsarbeit auch bei Willi Krings: In Öl auf Unterbodenlack hat er seine Ahnen gemalt, hängt sie ganz oben an die Wand und lässt unterhalb Wasser-Videos laufen. Mit einer Kamera auf dem Rollstuhl seines Vaters war Krings zu Beginn des Projekts im Krankenhaus herumgefahren. Inzwischen hat sich vieles verändert.

Reinelt zieht sechs Wochen vor dem Abschluss von "Endstation" - "am 26. August ist Schluss, vorläufig endgültig" - eine positive Bilanz. 4000 Besucher seien bislang gekommen, mehr als er erwartet hatte, als der Besitzer des Krankenhauses, die Cura-GmbH Bad Honnef, die künstlerische Zwischennutzung vor dem Abriss im Herbst anbot.

Mit einer Handvoll Künstler fing es an, bald waren es per Schneeballsystem rund 130, die hundert Räume im Krankenhaus bespielten. Reinelt war von Anfang an wichtig, einen breiten Kulturmix anzubieten, vielen Individuen und Gruppen die Chance zu geben, sich in St. Josef zu präsentieren. Das reicht von Alanus Hochschule und Amnesty International bis zu Künstlergruppen aus der Region, von der kulturpolitischen Diskussion über Video und Performance bis zur "Schwarzwaldklinik"-Persiflage des Théatre Bohemien. Ehemalige Ärzte und Patienten von St. Josef zeigen Gemaltes, der jüngste Künstler, Tizian Rein (15), hat sich mit der Spraydose verewigt.

Die letzte Etappe jedes Besuchs ist die "Prosektur" in der Pathologie, dort, wo die Leichen seziert wurden. Ein Raum des Todes mit vier Kühlfächern und einem Waschtisch. "Hier kommen die wichtigen Fragen", sagt Reinelt, "hier wird viel gesprochen, gerade Eltern reden mit ihren Kindern."

Andrea Goost und Regine Kleiner haben diesen Raum, in den so recht kein anderer Künstler hinein wollte, sehr würdig und distanziert verändert, hauptsächlich geputzt, gestrichen und von den Spuren der Vergangenheit gesäubert. Natürlich blickt man in die Kühlfächer - und ist überrascht: Rauschen, eine Skulptur im Meer, alles andere als eine Endstation.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort