Christian Tetzlaff brilliert in der Aula der Bonner Uni

Morton Feldmann präsentiert das Stück "For John Cage" im Ballsaal - Trio Bravo mit "Red Hot Chili Peppers"-Outfit in der Brotfrabrik - Organist Olivier Latry zwischen Decrescendo und Pianissimo in St. Joseph - Beethoven-Haus präsentiert die Reihe "Best of NRW"

Bonn.Universität: Wenn Christian Tetzlaff das Violinkonzert von Johannes Brahms spielt, stehen ihm üblicherweise Orchester vom Format der Berliner oder Wiener Philharmoniker zur Verfügung. An diesem Wochenende jedoch ging es bescheidener zu: In Bonn begleitete ihn das Akademische Orchester der Universität, das in einem Festkonzert zugleich den 20. Jahrestag seiner Gründung und den 80. Geburtstag seines Gründers, des früheren Universitätsmusikdirektors Emil Platen, feierte.

Das ist so wenig selbstverständlich wie die Tatsache, dass Tetzlaff den Auftritt in der sehr gut besuchten Aula der Universität ohne Gage absolvierte, so dass die Konzerteinnahmen komplett in die Musikprojekte der Uni fließen können. Die Verbindung zu dem prominenten Solisten hatte der Bonner Geigenbauer Peter Greiner hergestellt, der selbst im Orchester sitzt und aus dessen Werkstatt Tetzlaffs Instrument stammt.

Der "Artist in Residence" des Beethovenfests 2004 nahm das Konzert nicht weniger ernst als einen Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall. Schon wie er nach der Orchesterexposition sich in dem Brahmsschen op. 77 mit kraftvollem Bogenstrich Gehör verschaffte, hatte Klasse. Sein Spiel ist ungemein farbenreich, die Kadenz im ersten Satz eine ideale Verbindung aus virtuoser Meisterschaft und musikalischem Ausdruck. Dass die Kantilenen des Adagios auch ohne sentimentale Schluchzer zu Herzen gehen können, war ebenso zu erleben wie ein wunderbar tänzerisch genommenes Finale.

Es gelang dem Solisten zudem, das von dem jungen Alexander Mayer bestens vorbereitete und sicher geleitete Orchester mitzureißen und zu einer grandiosen Leistung zu inspirieren. Tetzlaff konnte sich hier auf einen sehr kompakten, rhythmisch erstaunlich präzisen Gesamtklang stützen. Auch die Zugabe nach den Ovationen bestritt er nicht ohne Orchester, das ihn in Mozarts C-Dur-Rondo KV 373 noch einmal klangschön begleitete.

Etwas spannungslos hingegen war Schumanns dritte Sinfonie, die "Rheinische", zu Beginn des Konzerts geraten. Vor allem der erste, ausdrücklich "lebhaft" überschriebene Satz wollte sich wegen des sehr zurückgenommenen Tempos, das Mayer vorgab, nicht zu einem Ganzen fügen. Ausgesprochen klangschön hingegen gelang den Musikern der dritte Satz. Bernhard Hartmann

Ballsaal: Von Morton Feldman für John Cage. Ludwig van Beethoven verstand sich als Tondichter, Richard Wagner rang um das Gesamtkunstwerk, Karlheinz Stockhausen hält sich für einen komponierenden Boten aus dem All - der Komponist Morton Feldman war da bescheidener. Sein ganzes Leben lang habe er sich mit dem Intervall der kleinen Sekunde beschäftigt, bekannte er einmal. 1982 resultierte daraus das rund 75-minütige Stück "For John Cage", geschrieben zu dessen siebzigstem Geburtstag.

"For John Cage" ist, wie viele Werke Feldmans, eine Musik des "Weder-Noch". Klangliche Situationen werden von immer neuen Seiten betrachtet, ohne dass einer der Vorzug gegeben wird. Veränderungen haben keine bestimmte Richtung, sondern wirken, wie wenn man ein Objekt im Licht hin- und herdreht.

Feldman hat sich selbst einmal als Forscher bezeichnet, der Mikroben beobachtet. Christiane Veltman, Violine, und Michael Veltman, Klavier, beide Mitglieder des Ensembles "Tra i Tempi", spielten das Stück im Theater im Ballsaal in der Reihe "Erlebnis Neue Musik". Ihnen gelang eine überzeugende, sorgsam ausgehörte Realisierung, die den Hörern die Faszination des Stücks vermittelte.

Brotfabrik: Was ist der ideale Auftritt für eine Musikgruppe? Gute Musik möglichst fehlerfrei zu präsentieren und dabei auch noch das Publikum zu unterhalten? Sollte dieses Kalkül bei "Trio Bravo +", die jetzt in der Brotfabrik auftraten, vorhanden gewesen sein, so ist es voll aufgegangen.

In einem Outfit, das durchaus der Garderobe der "Red Hot Chili Peppers" hätte entstammen können, betraten die vier Musiker die Bühne - seit 2002 ist der Schlagzeuger und Xylophonist Adam Tomaszewski mit im Boot, was das "+" im Bandnamen erklärt. Alle verfügen über eine fundierte klassische Ausbildung, sind aber auch in anderen Musikbereichen zu Hause, wodurch ein Schmelztiegel aus Klassik, Folklore, Rock und Pop entsteht.

Nur mit Piano, Geige, Kontrabass und Perkussion erwachsen aus dieser Konstellation Melodien, Grooves und Klangwelten, die von befreiter Leichtigkeit über tiefe Schwermut bis zur Aggression alle nur denkbaren Empfindungen übermitteln können. Erfolgreich hatte die Gruppe bereits eine neue Filmmusik zu Sergeij Eisensteins Stummfilmklassiker "Panzerkreuzer Potemkin" (1925) komponiert und war live damit aufgetreten, lange bevor die "Pet Shop Boys" in diesem Jahr dieselbe Idee in die Tat umsetzten.

Auch aus diesem Projekt trugen sie zwei Lieder vor und allein schon die Musik vermittelte die Dramatik der Aufstand-Szene auf der Potemkin. Das reguläre Programm von "Trio Bravo +" endete mit entsprechenden "Bravo"-Rufen des Publikums.

St. Joseph: Gerade als Olivier Latry in St. Joseph den unvollendeten Contrapunctus aus der Kunst der Fuge von Johann Sebastian Bach mit einem leisen Gedackt beschloss, bescherte eine Konzertbesucherin auf der geräuschvollen Suche nach einem Papiertaschentuch der meditativen Gespanntheit ein abruptes Ende.

Der aus Paris angereiste Organist ließ sich von dem Vorfall ebensowenig stören wie von der lautstarken Missbilligung des Geschehens durch den Sitznachbarn der Dame. Seine ganz zurückgenommene Interpretation des Contrapunctus setzte auf Klarheit und Transparenz.

Im Gegensatz zu manchen Kollegen, die das unvollendet gebliebene Werk bis zu seinem unvermittelten Abbruch gerne effektheischend aufbauschen, ging Latry genau umgekehrt vor. Gleichzeitig mit dem registrierten Decrescendo vom Piano zum Pianissimo ging eine Steigerung der gestalterischen Intensität einher, die erst mit dem nachfolgenden Präludium und Fuge über B-A-C-H von Franz Liszt aufgelöst wurde. Eine demütige Geste und intelligente Programmkonzeption zugleich!

Zuvor hatte Latry mit Bachs berühmter Fantasie und Fuge g-Moll eher Einheitskost abgeliefert: spannungslos die Fantasie, dafür aber mit tänzerischem Duktus die Fuge. Mit zwei Werken von Jehan Alain legte Latry eine große Klangsinnlichkeit an den Tag, Oliviers Messiaens "Dieu parmi nous" bot ihm dagegen reichlich Gelegenheit, seine außerordentliche Virtuosität zu demonstrieren. Eine abschließende effektvolle Improvisation über "Gelobt seist du, Herr Jesu Christ" und Alains Litanies als Zugabe rundeten das Konzert ab.

Beethoven-Haus: Die vom Beethoven-Haus präsentierte Reihe "Best of NRW" stellte im zweiten Konzert der Saison ein sehr beeindruckendes Violine-Klavier-Duo vor, dessen Mitglieder ursprünglich aus Ostländern stammen - der 1977 geborene Dmitry Mishelovich aus St. Petersburg, der 1976 geborene Pianist Sergej Filioglo aus Moldawien - und die beide an der Musikhochschule Köln studierten.

Sie begannen ihr Programm mit dem für die Hörer schwierigsten Werk, der Sonate Nr. 1 (1963) von Alfred Schnittke. Dessen polystilistische Schreibweise war hier immer wieder zu hören, aber auch, vor allem im Allegretto und im abschließenden, oft recht witzigen Allegretto scherzando, viel Russisch-Vitalistisches.

Sehr schön getroffen und differenziert nachgezeichnet dann die a-Moll-Sonate op. 23 von Ludwig van Beethoven. Und ganz und gar schwelgerisch wurde es schließlich bei César Francks prachtvoller A-Dur-Sonate. Die Lyrizität, das Hymnisch-Schwärmerische des 1. Satzes, die etwas wühlenden Erregtheiten und leidenschaftlichen Emphasen des Allegro oder der Schwung des Finales - das alles kam mit voller Intensität heraus.

Danach folgte dann noch ein von dem Geiger Eugene Ysaye zum spieltechnischen Exerzitium aufgestockter Salonwalzer von Camille Saint-Saëns. Diese "Caprice en forme de valse" mit den hier natürlich im Vordergrund stehenden Geigenkünsten begeisterte, wie erwartet, das Publikum in besonderem Maße. Daraufhin folgte als Zugabe noch, etwas zu vehement und barsch angegangen, das c-Moll-Scherzo von Johannes Brahms aus der sogenannten F-A-E-Sonate.

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