Bundeskunsthalle in Bonn Ausstellung "Lob und Torheit" versprüht ihren Zauber

BONN · Mit der Schau "Lob der Torheit" übernehmen die Narren und Zauberer das Ruder in der Bundeskunsthalle. Mit 250 Exponaten wird das Phänomen der "Meister der Unordnung" durch drei Jahrtausende untersucht.

 Ein Wagen voller Kunstnarren: Kehraus der Ausstellung "Lob der Torheit".

Ein Wagen voller Kunstnarren: Kehraus der Ausstellung "Lob der Torheit".

Foto: Mark Brandenburgh

Das Wort "alternativlos", Lieblingstopos der Eisernen Kanzlerin, hat in dieser Ausstellung keine Chance. Denn es geht ausschließlich um Alternativen: zur himmlischen und irdischen Ordnung, zur diesseitigen Welt, zu Hierarchien, zu Dogmen und Gewissheiten aller Art. Die Narren, Exzentriker und Grenzgänger übernehmen in der Bundeskunsthalle das Ruder. Sie strecken der Obrigkeit die Zunge heraus, ignorieren Krankheit und Tod, zaubern und verwünschen, was das Zeug hält, bringen generell Chaos in die geregelte Welt.

"Narren. Künstler. Heilige. Lob der Torheit" heißt die Ausstellung, die mit 250 Exponaten das Phänomen der "Meister der Unordnung" quer durch drei Jahrtausende untersucht. Sie kommt zum Schluss, dass es letztlich die Figur des Künstlers ist, sei er nun bildnerisch, tanzend, zaubernd oder heilend unterwegs, die der Welt den Spiegel vorhält und durch ihr subversives Tun im Umkehrschluss die weltliche oder göttliche Ordnung erst spür- und wahrnehmbar macht. Ohne Chaos keine Ordnung, heißt das Motto. Oder mit Ben Vautiers runder Kinderschrift auf den Karton gepinselt: "Pas d'art sans désordre" (ohne die Unordnung gibt es keine Kunst).

Die von Jean de Loisy für das ethnologische Musée du Quay Branly in Paris kuratierte und für die Bonner Station leicht modifizierte Ausstellung startet mit den Mächten der Finsternis. So gründlich, dass man die Informationen zu den Exponaten kaum lesen kann. Dafür blecken punktuell beleuchtet die Geister der Fassnacht ihre Zungen, rollen bedrohlich die Augen.

Das schaurige Personal kommt aus dem Lötschental im Oberwallis, aus Sardinien, Rumänien und der Steiermark. Der finstere Krampus, Schrecken unartiger Kinder und junger Frauen, offiziell rechte Hand des Nikolaus, ist die populärste Gestalt dieser Poltergeister. Mary Wigman, Ikone des Ausdruckstanzes, gibt im Video eine wirbelnde Hexe.

Nach dieser Ouvertüre verlagert sich die Ausstellung auf eine andere Ebene - es ist aber immer noch recht dunkel. Da öffnet sich der Götterhimmel, und der Besucher wird in Gestalt von Figuren, Masken und Amuletten mit dem diffizilen Kräftemessen von Göttern und Halbgöttern, Dämonen, Deutern und Schamanen konfrontiert.

Die Reise geht etwa nach Indien zu Shiva, eine Art Unruhestifter in Gottgestalt, der den göttlichen Plan des Hinduismus erfüllt, bei dem Ordnung und Unordnung, Zerstörung und Schöpfung sich in einer zyklischen Folge abwechseln. Die Bundeskunsthalle zeigt Druga, den weiblichen Teil von Shiva, im Kampf mit einem Dämonen. Eine exzellente indische Skulptur aus dem 11. Jahrhundert.

Die Medizinmänner, Priester und Schamanen bekommen ihren Auftritt - und unvermittelt steht der Besucher vor einer eindrucksvollen, hohen Vitrine voller Fetische und wundertätiger Amulette. Ein sogenannter Orakel-Sack aus Angola findet sich ebenfalls darunter wie eine mit Nägeln gespickte Figur aus Belgien und ein "Wettersegen" aus Süddeutschland.

Es tut gut zu wissen, dass dieses geballte Zauber- und Verwünschungspotenzial - gewöhnlich - verpufft, sobald die Fetische ihrem ursprünglichen Kontext entrissen werden, was Kunsträuber und Ethnologen in der Regel taten. Kaum ein Besucher bliebe unbeschadet und unverzaubert, wären die Fetische noch aktiv. Also nur exotischer Hokuspokus.

Einige Stücke bleiben nachhaltig in Erinnerung. Die nur wenige Zentimeter hohe, dickbäuchige und mit bunten Federn geschmückte Topu-Figur aus dem Amazonasgebiet demonstriert, dass Gottsein keine Frage der Größe ist: Der Geist des Donners, die Macht, Blitze zu schleudern, sogar den Schamanen zu verletzen, steckt in diesem zart aus Wachs modellierten Figürchen. Immer wieder anrührend ist Joseph Beuys' Aktion "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt", 1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela gedreht.

Fast zärtlich führt der auf dem Kopf mit Blattgold, Goldstaub und Honig bedeckte Schamane den toten Hasen von Kunstwerk zu Kunstwerk. Von den Heilkräften der Kunst erzählt eindrucksvoll die Aktion von Anna Halprin, die in den 70er Jahren an Darmkrebs erkrankte und diesen in Aktionen unter schrecklichen Klagelauten buchstäblich wegtanzte. Halprin ist heute 92 Jahre alt.

Die Film-Interviews mit aktiven Schamanen, Deutern und Heilern gehören zu den Höhepunkten dieser irritierenden Schau, bei der es am Ende dann noch hell wird. Hermann Nitschs Orgien-Mysterien-Theater manifestiert sich in einer zwölf Meter breiten rotgetränkten Leinwand. Und dann folgt ein Wagen voller Kunstnarren von Tracey Rose bis Jonathan Meese.

Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4; bis zum 2. Dezember. Di, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Daniel Johannes Mayr dirigiert das Beethoven
Neue Musik zwischen Wohnwagen
Beethoven Orchester im BaseCampNeue Musik zwischen Wohnwagen
Zum Thema
Aus dem Ressort