WCCB-Prozess Verwaltung soll Rat getäuscht haben

BONN · Im ersten Prozess um den Millionenskandal beim World Conference Center Bonn (WCCB) hat Walther Graf, Strafverteidiger des Investors Man-Ki Kim, die Zeugenaussagen der rund 20 Ratsmitglieder analysiert und bewertet. Danach steht für ihn fest, dass der Stadtrat im Dezember 2005 - "hier bestehen keine Zweifel - tatsächlich irrtumsbedingt über die Projektvergabe entschieden hat".

Wer ist schuld, dass am Rhein seit drei Jahren Deutschlands größte Bauruine steht, bei der sich nichts bewegt? Ab und an findet seit 2009 eine alternative Stadtführung unter der Überschrift "Dr. Kim auf der Flucht" rund um das World Conference Center Bonn (WCCB) statt, aber der Titel ist auch in die Jahre gekommen: Denn Man-Ki Kim, WCCB-Investor, sitzt seit Januar 2011 in Untersuchungshaft und seit September 2011 auf der Anklagebank im Landgericht Bonn.

Seit mehr als 60 Verhandlungstagen stöbern die Richter der Wirtschaftsstrafkammer im WCCB-Dickicht, das einem endlos verknoteten Wollknäuel gleicht. Und sie versuchen einzelne Fäden, strafrechtlich plausible Handlungsstränge freizulegen, um wenigstens Teilantworten auf die Eingangsfrage zu erarbeiten.

Dazu wurden auch mehr als 20 Stadtratspolitiker vernommen (siehe Millionenfalle 81), die dabei waren, als der Rat im Dezember 2005 Kim und seine Firma SMI Hyundai Corporation zum Investor kürte. Ihre Aussagen unterscheiden sich - je nach Erinnerungsvermögen - nur in Nuancen.

Die Quintessenz lautet: Die Feierabendpolitiker hatten darauf vertraut, dass ihnen beim wichtigsten Bonner Stadtprojekt die Verwaltung eine Vorlage liefert, die nichts verschweigt - und vor allem: Dass die Sparkasse KölnBonn den Investor auf Herz und Nieren geprüft hat. Durch zahlreiche vor Gericht verlesene Dokumente musste die Öffentlichkeit jedoch das Gegenteil zur Kenntnis nehmen. Die Sparkasse wollte Kim mangels nachgewiesener wirtschaftlicher Potenz gar keinen Kredit geben, womit das Projekt normalerweise beendet gewesen wäre. Aber die Stadt bürgte und nannte die Bürgschaft - für die Ratsmitglieder verschlüsselt - "Nebenabrede".

Da die Beschlussvorlage, die Wesentliches verschweigt, für die Ratsabstimmung nicht von Man-Ki Kim oder dessen Anwalt Ha-S. C. verfasst wurde, sondern von der Verwaltung, kann die gesamte Täuschungslast nicht auf seinem Mandanten abgeladen werden - so der Kern der Botschaft von Kims Strafverteidiger Walther Graf. Eine These, die eine große Restschuldlücke reißt; sie entbehrt auch nicht einer gewissen Logik.

Stark vereinfacht: Kim hat zwar getäuscht, insbesondere über die vermeintlich engen Bande zwischen SMI und dem Hyundai-Weltkonzern und seine Bonität, aber die zunächst Getäuschten, die Verwaltungsspitze, wusste vor der 2005er-Ratsabstimmung nachweislich Bescheid - und täuschte ihrerseits durch Verschweigen den Stadtrat.

Eine solche Plausibilitätskette ist eine Steilvorlage, die sich kein Strafverteidiger entgehen lässt. So seziert Graf in einer 16-seitigen Erklärung (Auszüge siehe Dokumentation), am Dienstag ebenfalls vor Gericht verlesen, die Aussagen der 2005 im Rat sitzenden Politiker. Diese hätten unverblümt über ihre "eklatante Unwissenheit hinsichtlich entscheidungsrelevanter Fakten" berichtet. Dass dies "nicht grundsätzlich in kommunalpolitische Katastrophen mündet, ist nur einem Grund geschuldet: Die Politiker wissen um ihre Unkenntnis sowie um ihre mangelnde Fähigkeit zur Überprüfung verschiedenster Sachverhalte.

Ihre Aufgabe besteht letztlich in der Bewertung der Vorlagen der Verwaltung, die bei allen Zeugen - wie wir heute wissen - zu Unrecht einen großen Vertrauensvorsprung genossen hat." Graf versucht mit den Zeugenaussagen zu belegen, dass Kims Täuschungen nicht ursächlich für das Abstimmungsverhalten des Rates war - kein "Blättchen" zu Marketingzwecken, keine Powerpoint-Präsentation, keine Presse-Gerüchte. Nur die Ratsvorlage sei entscheidend gewesen. Das lässt sich aus den Zeugenaussagen tatsächlich so herauslesen, aber ob es auch stimmt? Keine Beeinflussung durch Begleitmusik?

Grafs Fazit: "Die Ratsmitglieder der Stadt Bonn - und hier bestehen keine Zweifel - haben wohl tatsächlich irrtumsbedingt über die Projektvergabe entschieden. Der Irrtum beruht indes nicht auf einer Täuschung von Herrn Dr. Kim." Es gebe eine "nachweislich falsche Tatsachendarstellung der Verwaltung".

Zudem habe sich die Stadt bei der Investorsuche in einer aussichtslosen Situation befunden. Graf zitiert aus den Aussagen der Ratsmitglieder: "Das Kind ist schon 2002 in den Brunnen gefallen (...) Man wollte mit Ach und Krach ein Kongresszentrum." Und zum Schluss blieb nur "der Tanz mit dem Letzten, der noch auf dem Parkett verblieben ist". Die Suche nach Schuld und Schuldigen geht also weiter. Vielleicht hat sie auch erst angefangen.

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