Johanneskreuz OB Nimptsch sprach mit Anwohnern

BONN · Zu einem Krisengespräch über die Drogenszene rund um das Johanneskreuz am Rande der Bonner Altstadt traf sich Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch am Freitagabend mit Anwohnern und Gewerbetreibenden. Die hatten in den vergangenen Tagen massive Kritik an den Zuständen geübt.

Schwungvoll fährt Stefano mit seinem altersschwachen Mountainbike auf den Platz Am Johanneskreuz, dreht eine kleine Runde und sucht den Platz mit unstetem Blick ab. In der Sonne des frühen Nachmittags weichen zwei Jungen quietschend den Wasserstrahlen im Brunnen aus, beobachtet von ihren Müttern, denen die Schulranzen über der Schulter hängen. Sonst ist nicht viel los, auch der Platz unmittelbar vor der Tür des Nettomarkts ist leer. Hier sitzen sonst diejenigen, die Stefano sucht, hocken auf der wenig mehr als knöchelhohen Umrandung der Grünanlage, auf Kartons, um etwas bequemer zu sitzen.

Es ist diese Gruppe, die derzeit für viel Ärger sorgt. Anwohner klagen über Randale, Gewalt und offenen Drogenkonsum. Vor ein paar Tagen platzte Anwohner Oliver Leon Ueberholz der Kragen. Er schrieb einen offenen Brief an Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch und veröffentlichte ihn via Facebook. Innerhalb weniger Stunden hatte er hunderte Kommentare. Beinahe unisono fordern die Kommentatoren den OB auf, gegen die Gruppe vorzugehen

Stefano gehört zu dieser Gruppe. Er lehnt sein Rad an die Kopie des römischen Grabsteins, greift seiner Freundin Sandra in die schwarze Umhängetasche. Er fischt eine Flasche Bier heraus, die er mit einem knackigen Plopp öffnet, wobei er einen dünnen Nebel Oettinger Export versprüht. Stefano ist ein kleiner Mann mit eingefallenen Wangen und wachen blauen Augen, der trotz seiner 50 Jahre wie ein quirliger kleiner Junge wirkt.

Im Ausschnitt seiner weit offenen Trainingsjacke hängt neben einem Kreuz die Mutter Gottes. "Gesegnet von einem Pastor, ich bin Italiener". Gemeinsam mit Freundin Sandra (38) kommt Stefano fast jeden Tag zum Johanneskreuz. Stefano zeigt auf den Netto. "Der Reiz hier ist, dass es preiswertes Bier gibt", sagt er. "Hier haben sich welche gefunden, die gemeinsam quatschen können. Die wohnen alle hier in der Gegend. Wir helfen uns gegenseitig, zum Beispiel, wenn mal jemand Laminat verlegen muss oder so."

Stefano und seine "Kollegen" kommen gerne zum Johanneskreuz, andere wollen wegen ihm und seiner Freunde so schnell wie möglich weg. Ende März bekam Josef Meindorf Post. Es war ein Kündigungsschreiben seiner Mieter, sie wohnten bis vor kurzem am Johanneskreuz, Haus Nummer 6. "Grund für die Kündigung ist die überhandnehmende Alkohol- und Drogenabhängigenszene in direkter Nähe des Hauseingangs", schreibt der Mieter. Er spricht vielen Anwohnern aus dem Herzen, ein ganzer Stadtteil geht auf die Barrikaden. Mittlerweile sammelt eine Initiative Erfahrungsberichte auf einer eigenen Homepage. Der Leidensdruck ist offensichtlich enorm, der auf den Oberbürgermeister so groß, dass er am Freitag zu einem Ortstermin vorbeikam.

Das Gespräch mit den Bürgern sei "sehr hilfreich" gewesen, sagte der OB im Anschluss. Man habe eine Liste gemeinsamer Maßnahmen erarbeitet, die er innerhalb von vier Wochen auf Machbarkeit überprüfen wolle. Auch Ueberholz lobte das "konstruktive" Gespräch. "Ich fühle mich jetzt ernster genommen", sagte Ueberholz.

Auch Stefano stand im leergeräumten Schleckermarkt, und hörte sich die Geschichten von Drogen, Gewalt, Urinieren und Geschlechtsverkehr in der Öffentlichkeit an, von denen er behauptet, dass sie nicht stimmen. Vermieter Meindorf dagegen sagt, er habe das alles schon selbst erlebt und komme nur noch mit seinem Schäferhund vorbei. "Mir tun die Leute leid, aber so geht es nicht weiter. Das ganze Viertel rutscht ab".

Natürlich sei nicht immer alles eitel Sonnenschein, berichten Stefano und Sandra vor dem Ortstermin, der Gruppe schlössen sich immer mal wieder zwei, drei Störenfriede an. "Die krakeelen und pöbeln." Sie wissen, wovon sie sprechen. "Einer wohnt da in den Hochhäusern", sagt Stefano und winkt unbestimmt in Richtung Rosental. Das Paar hat Verständnis für den Ärger der Anwohner. "Aber man kann nicht alle hier in eine Schublade stecken wegen drei Leuten, die sich schlecht benehmen", sagt Stefano. Die Gruppe am Johanneskreuz, das seien Hartz-IV-Empfänger, Leute aus der Nachbarschaft, die "sich gerne mal ein Bier trinken". Zwei, drei der Leute seien "im Programm", sagt Stefano und meint das Methadonprogramm. Drogenabhängige, die Szene, die finde man immer noch am Bonner Loch.

"Die Störenfriede wollen wir auch nicht, wie wollen keinen Stress, weil wir gerne hier sind", sagt Stefano. Wenn jemand randaliere, versuche die Gruppe, ihn zu beruhigen. "Wir wollen, dass hier wieder Frieden einkehrt, wir wollen eine Basis mit den Anwohnern", sagt Sandra.

"Wir sollten mal ein vernünftiges Gespräch auf den Weg bringen, dafür würden wir uns auch zur Verfügung stellen", sagt Nelly Grunwald, Geschäftsführerin des Vereins für Gefährdetenhilfe. "Vor diesen Menschen muss man keine Angst haben". Die Gruppe einfach zu vertreiben, das bringe nichts. "Wir haben kleine Wohnungen, wo sollen wir hin?", fragt Sandra. "Vor die Beethovenhalle?"

Szenetreffpunkte
Szene-Treffpunkte wie das Johanneskreuz gibt es nach Angaben der Stadt am Stadthaus an der Ecke Maxstraße/ Weiherstraße, am Rathaus in Beuel, am Stadtwerke-Gebäude an der Thomas-Mann-Straße sowie an der Rampe des Zentralen Omnibusbahnhof. Dort hält sich laut dem VfG die größte Gruppe auf, bis zu 50 Menschen im Sommer. Sehr ruhig sei die kleine Szene in der Thomas-Mann-Straße, am Beueler Rathaus säßen insbesondere Drogenabhängige und Alkoholiker aus der Nachbarschaft. Einen Bericht zu den Folgen des Alkoholverbotes am Bonner Loch findet man im Ratsinformationssystem der Stadt Bonn unter dem Stichwort "Koordinierungsgruppe".

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