Bäderkonzept der Stadt Bonn Kinder auf dem Stundenplan

bonn · Die GA-Redakteure Wolfgang Kaes und Jörg Manhold diskutieren über die Erziehungsaufgaben von Eltern und Staat.

 Pure Lebensfreude: Kinder lieben das nasse Element. Doch um mit Freunden sicher und gefahrlos im Wasser toben zu können (so wie dieser Junge in Bad Honnef), müssen sie erst einmal schwimmen lernen.

Pure Lebensfreude: Kinder lieben das nasse Element. Doch um mit Freunden sicher und gefahrlos im Wasser toben zu können (so wie dieser Junge in Bad Honnef), müssen sie erst einmal schwimmen lernen.

Immer wieder dienstags setzt sich die Chefredaktion des General-Anzeigers mit den Deskmanagern und Chefreportern zusammen, um aktuelle Themen zu besprechen. Da wird offen diskutiert, und nicht immer sind alle einer Meinung. So auch beim Thema des neuen Bäderkonzeptes für die Stadt Bonn, das aus Finanznot zur Schließung von öffentlichen Schwimmbädern führen könnte. Daraus entspann sich - hinter geschlossenen Türen - eine Diskussion zwischen den beiden GA-Redakteuren Jörg Manhold und Wolfgang Kaes über die Verteilung von Erziehungsaufgaben zwischen Schule und Eltern. Die Chefredaktion bat die beiden Kollegen, ihre Diskussion an dieser Stelle öffentlich nachzuzeichnen - in der Hoffnung, dass dies unsere Leser und Online-User anregt, in die Debatte einzusteigen und ebenfalls zur Meinungsbildung beizutragen.

Jörg Manhold: Die Kommunen sparen und sparen - jetzt auch an den Schwimmbädern. Das führt dazu, dass unsere Kinder nicht mehr schwimmen lernen. Denn die Grundschulen können dann nicht mehr ausreichend Schwimmunterricht anbieten.

Wolfgang Kaes: Ist das eigentlich die ureigene Aufgabe von Schulen? Mein Vater hat mir das Schwimmen beigebracht, und ich habe es meinem Sohn beigebracht, als er sechs Jahre alt war. So geht's auch.

Manhold: Das ist zwar ein ein romantisches Bild, aber das können leider nicht alle Eltern leisten. Finanziell, logistisch und mental. Zu meiner Grundschulzeit gab es sogar eine eigene Schulschwimmhalle. Dazu habe ich noch einen DLRG-Schwimmkurs mitgemacht.

Kaes: Vielleicht liegt es ja an meinem Alter. Zu meiner Grundschulzeit in einer Kleinstadt in der Eifel gab es in den umliegenden Dörfern noch sogenannte Zwergschulen - mehrere Jahrgänge, die in einem einzigen Klassenraum von einem einzigen Lehrer unterrichtet wurden. Ich frage mich gerade, welche Eltern denn finanziell, logistisch oder mental nicht in der Lage sind, ihren Kindern das Schwimmen beizubringen: Jene, die sich das Eintrittsgeld für ein öffentliches Freibad nicht leisten können? Das könnte die Kommune im Einzelfall subventionieren. Oder jene, die ihrer Karriere und dem Geldverdienen so viel Zeit widmen, dass sie nicht willens sind, an den Sommerwochenenden ein paar Stunden in ihre Kinder zu investieren? Da könnte man von Schulen auch verlangen, den Schülern das Rollschuhfahren oder das Fahrradfahren beizubringen.

Manhold: Das ist ja wohl ein Unterschied. Schwimmen ist eine überlebenswichtige Kulturtechnik. Deshalb steht das auch im Lehrplan für Grundschulen. Nach dem vierten Schuljahr sollen sich die Kinder sicher über Wasser halten können. Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft hat aber festgestellt, dass dies nur noch 45 Prozent können. Vor 20 Jahren waren das noch 65 Prozent. Das ist doch alarmierend. Meine große Tochter hatte im dritten Schuljahr sechs Mal Schwimmunterricht in der Halle, dann kam das Sommerhalbjahr mit dem Wechsel ins Freibad. Weil das Wetter schlecht war, gab es nur noch drei Termine. Das war alles. Ein Glück, dass sie schon schwimmen konnte. Mitschüler, die es bis dahin nicht konnten, haben es nicht gelernt.

Kaes: Ich finde, dass heutzutage immer mehr Aufgaben und immer mehr Verantwortung für das seelische und körperliche Gedeihen der Kinder von den Eltern auf Schulen und Lehrer verlagert wird.

Manhold: Ich denke, es ist genau umgekehrt. Die Schule verlagert immer mehr elementare Aufgaben auf die Eltern. Das fängt doch schon im Kindergarten an. Ich musste als kleiner Junge dort noch lernen, die Schleife zu binden. Das ist heute nicht mehr verbindlich. Deshalb werden Eltern von Erstklässlern heutzutage aufgefordert, ihre Kinder zum Sportunterricht mit Klettverschluss-Turnschuhen auszustatten. Stattdessen sollen die Kinder schon vor der Grundschule Englischvokabeln und den Umgang mit dem Computer lernen.

Kaes: Englischvokabeln im Kindergartenalter? Wir scheinen - auch was die Bildung betrifft - wieder in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft zu leben. Im Potsdamer Villenviertel gibt es einen privaten Kindergarten, in dem können die Kleinen zwischen mehreren Fremdsprachen wählen. Nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt, in Berlin-Neukölln, gibt es hingegen Grundschulklassen, in denen 85 Prozent der Kinder nur mangelhaft Deutsch sprechen. Um die schulischen Startchancen der restlichen 15 Prozent in diesen Klassen muss man sich wohl zwangsläufig ebenfalls große Sorgen machen.

Manhold: Genau dieses Problem soll ja mit dem Delfin-Test ausgeschlossen werden, den die Kindergartenkinder in Nordrhein-Westfalen im Alter von vier Jahren mitmachen. Wenn sprachliche Defizite festgestellt werden, können sie noch anderthalb Jahre gezielt gefördert werden. Beim ersten Test 2007 wurde bei zwei Drittel der Kinder in NRW ein Förderbedarf festgestellt.

Kaes: Zwei Drittel: Das spricht doch Bände. Wir wissen von Neurologen und Kinderpsychologen, dass die entscheidenden Weichen für die kognitiven Fähigkeiten, für die soziale Kompetenz und für die seelische Gesundheit der Kinder bereits in den ersten drei Lebensjahren gestellt werden. Im Supermarkt beobachte ich kleine Kinder, die ihren Eltern eine Frage stellen, keine Antwort erhalten, als seien sie Luft. Sie müssen erst quengeln oder brüllen, um nicht länger ignoriert zu werden. Auf der Straße beobachte ich junge Mütter, die permanent in ihr Handy quatschen, statt mit ihren Kindern zu kommunizieren. Man setzt Kinder vor den Fernseher, statt ihnen vorzulesen. Diese Defizite kann doch keine Schule mehr kompensieren.

Manhold: Die Familie als Bindemittel der Gesellschaft ist in dieser Funktion in der Auflösung begriffen. Und deshalb ist es so wichtig, dass sich die Schule auf die elementaren Aufgaben besinnt und sich nicht auf Orchideenaufgaben abdrängen lässt. Um wieder auf das Beispiel Schwimmen zurückzukommen: Wir brauchen ein gesellschaftliches Bekenntnis dazu, dass Kinder schwimmen lernen müssen. Das kostet dann auch etwas. Dann muss die Stadt eben einen Zuschuss geben und nicht immer darauf pochen, dass sich Schwimmbäder amortisieren müssen. Wir müssen uns einig werden, dass die Bildung unserer Kinder etwas wert ist und auch was kosten darf.

Kaes: Einverstanden. Aber die Aufgabe, diesen Teufelskreis "Armut durch mangelnde Bildung und mangelnde Bildung durch Armut" zu durchbrechen, kann eine Stadt wie Bonn nicht alleine stemmen. Dieses Ziel ist so wertvoll, dass eine Bundeskanzlerin dies zur Chefsache erklären müsste - ungeachtet der Bildungshoheit der Bundesländer. Für das konsequente Verfolgen dieses Ziels würde ich als Steuerzahler gerne meinen Beitrag leisten. Am Ende wäre dies auch für die gesamte Volkswirtschaft ein großer Gewinn und würde die öffentlichen Haushalte entlasten.

Manhold: Wir treffen uns in der Mitte. Staat und Schule konzentrieren sich wieder auf die grundlegenden Werte, und Eltern nehmen ihre Erziehungsverantwortung wahr. So haben wir eine Art Public-private-Partnership - für unsere Kinder.

Jörg Manhold (Jahrgang 1966), Regiodesk-Manager beim General-Anzeiger, hatte in der Grundschule wie auch später am Gymnasium Schulschwimmen. Außerdem belegte er Schwimmkurse bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft. Seine zehnjährige Tochter und sein achtjähriger Sohn haben in einem Schwimmkurs im Königswinterer Lemmerzbad das Schwimmen gelernt.

Wolfgang Kaes (Jahrgang 1958), Chefreporter Region, legte sein Abitur in Mayen (Eifel) ab. Sein Jahrgang war der erste in Rheinland-Pfalz mit reformierter Oberstufe. Schulschwimmen gab es damals dort überhaupt nicht, und zu Beginn der siebziger Jahre war der Lehrermangel so groß, dass die Hälfte der Schüler vormittags, die andere Hälfte nachmittags ab 14 Uhr unterrichtet wurde.

Wer erzieht die Kinder? Diskutieren Sie mit uns im Aktionsblog des General-Anzeigers.

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