Hinweise auf weitere sexuelle Übergriffe am Aloisiuskolleg

Neue Zeugen berichten über "befremdliche Situationen" - Rektor bedauert die Fälle und Defizite bei der Aufarbeitung

  Das Aloisiuskolleg des katholischen Jesuitenordens in Bonn:  Auch hier hat es Fälle sexuellen Missbrauchs gegeben.

Das Aloisiuskolleg des katholischen Jesuitenordens in Bonn: Auch hier hat es Fälle sexuellen Missbrauchs gegeben.

Foto: dpa

Bad Godesberg. Die Erinnerungen gleichen sich. Zur Strafe muss der Internatsschüler des Aloisiuskollegs (Ako), Werner P., (Name geändert) im eisigen Winter 1973/74 an der Schule mit seinem Freund eine Schneeballschlacht veranstalten - splitternackt, und der Pater und Erzieher schaut zu. Und fordert von den Jungen als Zugabe noch einen Ringkampf. "Dann beobachtete er uns beim Duschen", so P. mit Namensnennung des Paters.

"Befremdliche Situationen" wie diese hat auch Johannes T. als Ako-Interner von 2001 bis '04 erlebt. Derselbe Pater habe die jüngsten Internatsschüler in der Stella Rheni morgens nackt in der Dusche empfangen. "Wer zu spät kam, wurde gepackt und mit dem Schlauch kalt abgeduscht", erinnert sich T. Zumal er auch davon berichten kann, wie der Geistliche kranken Jungen in seinem Büro mit Vorliebe rektal Fieber maß.

ServiceBeratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt: Es seien nicht nur kirchliche Mitarbeiter, die Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchen, sagt Wilma Wirtz-Weinrich, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin von der Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt. Kontakt: www.beratung-bonn.de, Telefon (02 28) 63 55 24.

Vielmehr passierten sexuelle Übergriffe vor allem dort, wo Kinder und Jugendliche scheinbar sicher sind: im Jugend-, Sport- und Freizeitbereich sowie in der Schule. In drei Vierteln der Fälle würden die Opfer ihre Täter kennen, 25 Prozent dieser Fälle wiederum passierten im Kreis der Familie. Zwei von zehn Tätern seien Frauen, sagt Wirtz-Weinrich. "Vermutlich wird jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder 12. bis 14. Junge Opfer sexuellen Missbrauchs.""Die Sache hat für mich einen schalen Beigeschmack. Aber damals habe ich mir nichts dabei gedacht. Ich bin also kein Opfer, kein Geschädigter", kommentiert P. Die Kollegsleitung müsse aber von den seltsamen Vorlieben des Paters gewusst haben, klagt T. an. "Hinter vorgehaltener Hand wurde stets darüber gesprochen."

Zwei Schülererinnerungen, ein Muster. Wenn es natürlich auch nicht der Dimension der Missbrauchsvorwürfe entspricht, die derzeit ein 62-jähriger Ex-Ako-Schüler anonym über die frühen sechziger Jahre im Internat gegen einen inzwischen verstorbenen Pater erhebt.

Bei P. und T. geht es allem Anschein nach um sexuell motivierte Übergriffe. Und die ordnen sie einem Pater zu, der noch heute zur Ako-Kommunität dazugehört. "Doch er wohnt nicht mehr bei uns, sondern seit 2007 im Pflegeheim", erklärt Rektor Pater Theo Schneider Freitagmittag auf Anfrage. Tief betroffen zeigt er sich über die neuen ihm vom GA präsentierten Zeugenberichte.

Und er gibt schließlich doch zu, dass über den betreffenden Pater seit den Siebzigern Gerüchte kursierten, dass sie aber nicht auf den Tatbestand sexuellen Übergriffs hindeuteten, dass man die Sache auch nicht recht angegangen sei, weil dieser Pater eine leitende Funktion innehatte.

"Wir bedauern, die Aufarbeitung lange nicht offensiv und mutig genug betrieben zu haben", gesteht der Rektor schließlich ein. Die in den Vorwürfen dargestellten Handlungen widersprächen zutiefst den jesuitischen Erziehungsvorstellungen.

Und Pater Schneider erneuert das schon am Vortag ausgesprochene Angebot. Opfer und Zeugen mögen sich unter Zusicherung größter Vertraulichkeit bei ihm oder der Bevollmächtigten des Ordens melden. "Ich nehme jedes Anliegen ernst. Ich möchte alles geklärt haben", betont der Pater.

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